In Zeiten von Whatsapp und Co. stelle ich mir oft die Frage: Warum setzt sich der Mensch solch einem immensen Stress und Zeitdruck auch noch freiwillig aus? Ständige Kontrolle und eine schnelllebige Kommunikation scheint fast schon zur Devise einer ganzen Generation geworden zu sein. Wissen wir eigentlich noch, was Worte wert sind?
Die Revolution der Kommunikation
Es klingt fast wie ein Märchen, wenn man heute von Hand geschriebenen Briefen erzählt. Diese wurden mit größter Sorgfalt und unter strenger Beachtung der Rechtschreibregeln vom Verfasser auf Papier gebracht. Dies geschah mittels sogenannter Schreibgeräte, welche bis heute in verschiedenen Variationen erhältlich sind. Ob zu Fuß, mit dem Pferd oder per Schiffsverkehr, die Versender fanden immer eine Möglichkeit, ihre Post an den Mann oder die Frau zu bringen. Solch ein Brief unternahm eine Reise, die Tage, Wochen, Monate oder oft auch Jahre dauern konnte. Umso größer war die Freude, wenn der Brief letztendlich beim Empfänger eintraf. Das beschriebene Papier genoss einen hohen Stellenwert und hatte eine hohe Wertigkeit.
Auf die Ära der Briefe folgte mit der Entwicklung des Internets die Ära der elektronischen Post, kurz E-Mail. Diese neuartige Form der Kommunikation ermöglichte es, Nachrichten zu versenden, die unabhängig von der Entfernung, innerhalb von Sekunden beim Empfänger eintrafen. Man konnte überdies dem normalen Text Dateien anhängen. Die Zeit der schnellen Kommunikation war geboren, getrost wurden die Stifte beiseitegelegt und durch hochmoderne Tastaturen ersetzt. Auch der übermäßigen Verschwendung des Papiers wurde die Stirn geboten und man konnte sogar dem mühseligen Gang zu den Briefkästen per Mausklick entgehen.
Die neue Sprache
Der doch noch sehr ausführlichen E-Mail wurde mittels der Kurzmitteilung, eher bekannt als SMS, eine klare Kampfansage gemacht. Vorbei war die Zeit der bedachten Worte, des Grübelns über mögliche Formulierungen oder der Wunsch nach ausführlicher Kommunikation. Man wollte Antworten und zwar schnell. Kurz, prägnant und nicht zu zeitaufwendig. Die Schönheit der Worte, kaltblütig ermordet durch Abkürzungen. Der Wert der Worte irgendwo verschwunden hinter „hdgdl“ und „omg“, zu mühselig ist die Tipparbeit. So viel Information wie möglich, eingeengt durch maximal 160 Zeichen. Schluss mit der albernen Beachtung der Rechtschreibung.
Gefühlszustände werden durch Smileys ausgedrückt, deren Verwendung unumgänglich ist, wenn man möchte, dass die Nachricht auch richtig aufgenommen wird. Das Weglassen oder die falsche Verwendung dieser eigenartigen Konstruktionen, sorgt für allgemeine Verwirrung und Missverständnisse. Auch die Sache mit der Ironie, ist beim Schreiben einer SMS mit Vorsicht und Bedacht zu genießen, da das nicht kenntlich machen dieser durch *i*, vom Empfänger oftmals als Beleidigung verstanden werden kann. Wer heute erfolgreich kommunizieren möchte, sollte sich besser einen neuen Wortschatz aneignen, denn wer nicht weiß was „biba“, „lol“ und „btw“ bedeutet, der ist verloren im undurchdringbaren Dickicht der Wortneuschöpfungen unserer einfallsreichen Generation, die vom Fortschritt und der Kurzlebigkeit zehrt.
Wer nun verschreckt von den Richtlinien der neuen Kommunikation am liebsten das Weite suchen und jeglicher Art der schnellen Verständigung absagen würde, dem sei gesagt, dass sich Whatsapp und Co. schon längst eine Lösung für diese vermeintlich aufkommenden Missverständnisse überlegt haben und so erfanden sie die Sprachnachricht. Diese dient dem Sender als sprachliche Übermittlung, ähnlich eines Telefonats, durch die er imstande ist, seine Gefühlsregungen mittels der Stimme erkennbar zu machen. Natürlich muss auch das richtige Sprechen geübt sein. So sieht man überall, wie die Leute sprachliche Nachrichten aufnehmen und abhören und fragt sich dennoch wieso ein Telefonat gemieden wird und im Allgemeinen als veraltet gilt.
Die Herrschaft der blauen Häkchen
Auch die Zeiten der SMS sind vorbei, zu kostspielig und irgendwie old school, sind die früher so beliebten Kurznachrichten. Außerdem bieten Whatsapp und Co. zusätzliche Features an, die die schnelle Kommunikation erleichtern sollen. Die eigenen Grundsätze werden einfach kurz und kompakt durch den Status und die eigene Authentizität in Form des Profilbildes vermittelt. Sehen und gesehen werden. Des Weiteren kann man verfolgen, wann jemand zuletzt online war, womit man sich zur Rechtfertigung über unbeantwortete Nachrichten gezwungen fühlt. Dieser Druck nahm vor allem durch die Einführung der blauen Häkchen zu, die genaue Auskunft darüber geben, ob eine Nachricht gelesen oder nicht gelesen wurde. Das Versteckspiel ist vorbei, es gibt kein Entkommen mehr. Den Drang, alles wissen zu wollen, bezahlen wir mit unserer Anonymität. Bereitwillig sehen wir der Realität ins Auge.
Leere Worte
Im Land der Dichter und Denker werden wortgewandte Texte kaum mehr verstanden. Wir verlieren die Fähigkeit, uns unserer wirksamsten Waffe zu bedienen, verlernen den Umgang mit ihr, unsere Sprache verkommt. Wir beschreiben eine Rückentwicklung, bei der es nur noch einem kleinen Teil unserer Bevölkerung möglich ist, komplizierte Sachverhalte aus Worten zu verstehen. Wir schwelgen im Gefühl zu kommunizieren, obwohl unsere Phrasen kaum noch Inhalt haben und unsere Worte leer sind, denn wir schreiben um des Schreibens Willen.
Rebellion
Nach der Übernahme von Whatsapp durch Facebook, war der Aufschrei in der Gesellschaft groß. Es bildete sich eine Gruppe von Revolutionären, die getrieben vom Wunsch nach Sicherheit und auf der Flucht vor den blauen Häkchen, nach einer Alternative zu der Messaging-App suchten. Diese Rebellion ebnete den Weg für Whatsapp-Alternativen wie Threema, surespot und Co., welche dem Nutzer eine sichere End-zu-End-Verschlüsselung versprechen und somit da ansetzen, wo Whatsapp versagt.
Trotzdem bleibt die Frage offen, was geschehen muss, damit wir den Wert der Worte wieder zu schätzen lernen, uns nicht mehr von der Angst nicht erreichbar zu sein versklaven lassen und nicht mehr um des Schreibens Willen schreiben, sondern weil wir was zu sagen haben.
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