Angekommen. Ich falle nieder auf die Knie, sage Dank, lächle, klopfe mir selbst auf die Schulter. Es ist ein berauschendes Gefühl, wenn man nach einem 200 Kilometer langen Fußweg in der Kathedrale von Santiago de Compostela ankommt. Aber nicht, weil man jetzt die Statue des heiligen Jakobs sieht, die man natürlich umarmt. Nicht, weil man die schöne Kathedrale sieht, mit ihrer tollen Fassade. Nicht, weil man das schwingende, riesige Weihrauchfass sieht und riecht, sondern vielmehr, weil man zurückschaut: auf den Weg, auf den Gang, auf das, was man geschafft hat. „Der Weg ist das Ziel“, sagt ein altes Sprichwort. Ich wusste nicht so recht was das bedeutet, bis ich auf dem Jakobsweg gewesen bin.
Doch wie kam es dazu, dass ich mit 17 Jahren den Jakobsweg gegangen bin? Nun zunächst einmal durch eine Wallfahrt in das schöne Örtchen Kevelaer hier in Deutschland. In der 5. Klasse marschierte ich drei Tage lang zu diesem Marienwallfahrtsort und erlebte schon damals, was es eigentlich heißt, zu pilgern, sich dem Gebet zuzukehren, nachzudenken, ganz ohne Ablenkung, während die Füße einen immer weiter tragen. Dieses Erlebnis entfachte in mir den Wunsch nach mehr. Als ich dann letztes Jahr vor Ostern hörte, dass sich eine Gruppe aus unserer Schule gefunden hatte, die zu dem „ultimativen Pilgerziel“ Santiago de Compostela pilgern wollte, musste ich unbedingt mit.
Gesagt getan
Wir trafen uns einmal im Vorhinein, um zu besprechen, was man auf einer Pilgerfahrt dieses Kalibers alles braucht: Rucksack, nicht viele Klamotten. Etwa ein Zehntel des Körpergewichts sollte der Rucksack wiegen. Leichter gesagt als getan. Um in diesen Rucksack all die Sachen einzupacken, die ich voraussichtlich auf der Reise brauchen würde, musste einiges komprimiert werden. Pullover wurden zusammengerollt und zigmal gefaltet, um sie dann möglichst platzsparend in den Rucksack zu packen. Nach dem Packen war ich schon nass geschwitzt, wie sollte das dann erst auf dem Jakobsweg werden?! Nach einer endlos langen Busfahrt waren wir dann endlich da, nicht in Santiago de Compostela natürlich, sondern in dem schönen Örtchen Villafranca del Bierzo. Von dort aus ging es dann los, auf dem berühmten Jakobsweg. Am Anfang waren noch alle sehr lustig drauf, man alberte herum, wir waren uns alle noch nicht wirklich bewusst, was für eine Reise wir da jetzt genau angetreten hatten. Nach dem zweiten Tag wurde es schon ruhiger. Auch hier gab es natürlich die lustigen Gespräche und Neckereien unter Jugendlichen, ohne die es sicher auch nicht die Reise geworden wäre, die es später war, aber es gab auch die Ruhe, die eintritt, wenn man einfach mal seinen eigenen Gedanken „nachgeht“.
Schritt für Schritt. Und genau das ist es, was Pilgern so unglaublich interessant macht. Man kann allem entfliehen, wenn man sich darauf einlässt: der ständigen Abhängigkeit von multimedialer Bespielung aller Art, Technik, Elektronik. Man ist ganz in der Natur, ganz für sich allein. Man kann Probleme umwälzen, die man vielleicht schon eine lange Zeit mit sich herumschleppt und schon fast vergessen hat. Und es ist gerade in diesen Problemen möglich, Gott zu begegnen. Man kann ihm danken, ihn um Vergebung bitten, Buße tun. All das, wofür man vielleicht im ständigen Stress nicht die Zeit findet. Aber auch für Nichtgläubige bietet Pilgern eine wundersame Art der geistigen Erholung. Gerade weil man über diese Probleme nachdenken kann. Und weil man es schafft, auch mal Zeit nur mit sich selbst zu verbringen, nur sich selbst zuzuhören, sich um sich selbst zu kümmern. Am Ende dieses Weges nach Santiago habe ich genau dafür gedankt. Dass ich mich einmal wieder ganz auf mich konzentrieren konnte, dass ich meine Probleme gesehen habe, die ich schon lange vergessen geglaubt habe. Und dass sich Freundschaften auf diesem Weg gebildet und vertieft haben, gerade weil man die Menschen, mit denen man unterwegs ist, auf eine ganz neue Art kennenlernt.
Pilgertour Nr. 2
Erst kürzlich bin ich wieder gepilgert, diesmal nur mit drei Freunden, wieder nach Kevelaer. 100 Kilometer sind wir uns durch die Niederlande, Belgien und Deutschland gegangen, ohne wirklich einen Plan zu haben, wo wir wirklich hingehen. Wir hatten das Zelt auf dem Rücken, Schlafen war also sozusagen inklusive. Auch dies war eine unheimlich gute und auch neue Erfahrung. Diesmal nämlich merkte ich, vielleicht auch aufgrund des vorhergegangen Abiturs, wie anstrengend es ist, jeden Tag aufzustehen und sich selbst zu sagen: „Los, David, du schaffst das!“. Bei diesem Trip war ich einfach dankbar für das, was ich geschafft habe. Dafür, dass ich nun weiß, wenn ich mir etwas vornehme, dann schaffe ich das auch, egal wie groß die Schmerzen am Ende sein werden, egal wie anstrengend es sein wird, egal auf wie vielen Umwegen man läuft, man kommt am Ende immer irgendwie am Ziel an und sei es auf allen Vieren.
Wegen dieser einmaligen Erlebnisse, die so auch alle anderen Mitpilger erlebt haben, mit den Anstrengungen, den Hindernissen, denen man sich stellen kann, wegen der Zeit, die man für sich hat und der Ruhe, die man findet, deswegen denke ich, dass Pilgern auch und gerade etwas für junge Leute ist, die den Mut haben, es auszuprobieren!
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