Thomas Keilig, 50 Jahre alt, wohnt in Bonn und ist seit 1990 Rohkostanhänger. Missionieren wolle er nicht, wenn es um seine Ernährungsweise geht, doch er gebe gerne Anregungen. Mein Interviewpartner ist schon länger Rohköstler, als ich überhaupt lebe. Ich bin beeindruckt und denke mir: Irgendeinen Grund muss es ja dafür geben, von der Rohkost überzeugt zu sein, auch wenn einiges wiederum dagegen spricht.

Von Herrn Keilig erfahre ich, dass Rohkost ein ganzheitliches Konzept ist. Wie er selbst folgen viele Rohkostanhänger der natürlichen Gesundheitslehre, um zu einer optimalen Gesundheit zu gelangen. Diese besteht nicht nur aus den Faktoren rohe und pflanzliche Ernährung, sondern auch aus reinem Wasser, körperlicher Bewegung an der frischen Luft und Sonnenschein, ausreichendem Schlaf, sinnvollen Tätigkeiten und harmonischen Beziehungen. Darüber erfahre man in der Schule viel zu wenig, bedauert Keilig.
Herr Keilig, kurz und prägnant, warum Rohkost?
„Leben kommt von Leben“ (Nena) und „die Kochkost bringt den Tod“ (Walter Sommer). Deshalb steckt ja auch das Wort „vita“, was lateinisch für Leben ist, in Vitaminen. Die Enzyme, die Zündfunken des Lebens, gehen bei über 42 Grad Celsius kaputt. Hohes Fieber ist auch deshalb so gefährlich, weil ab einer bestimmten Temperatur das Leben erlischt. Ein Sonnenblumenkern erzeugt – in die Erde gesteckt und gewässert unter Sonneneinstrahlung – eine neue Sonnenblume. Röstet man den Sonnenblumenkern, tut sich gar nichts mehr!
Warum soll Rohkost denn gesünder sein als Kochkost?
Jedes Lebewesen sollte die Nahrung essen, an die es genetisch angepasst ist. Dem Menschen fehlen im Gegensatz zum Raubtier spitze Raubtierzähne, er besitzt keine Krallen zum Erjagen der Beute, seine Magensäure ist viel schwächer und der Darm viel länger. Somit ist er auf Früchtenahrung (wozu auch Gemüsefrüchte wie Tomaten und Paprika gehören) ausgerichtet. Außerdem muss die Früchtenahrung weder gewürzt, gemischt, gebraten, gebacken, oder ähnlich verarbeitet werden. Sämtliche Kochkost schmeckt doch ohne Salz überhaupt nicht, Fleisch muss gewürzt, gebraten oder gegrillt werden, um für den Menschen überhaupt appetitlich zu erscheinen (ganz zu schweigen von der vielen Chemie wie Konservierungs-, Aroma- und Farbstoffe).
Außerdem führt die Pflanze einen komplizierten Prozess durch, um tote, anorganische Mineralien aus dem Erdboden in sich aufzunehmen und zu organischen Mineralien zu machen, die Teil der lebenden Pflanze sind. Durch das Kochen gehen diese organischen Mineralien wieder in den toten, anorganischen Zustand über und nutzen dem Menschen nicht mehr, sondern führen zur Verkalkung.
Daher kommen die vielen Gefäßerkrankungen wie Herzinfarkte, Schlaganfälle heutzutage. Wenn in der Jugend Akne und Schnupfen noch harmlose Folgen der Kochkost sind – also Reinigungsreaktionen des Körpers, um die Kochkostschlacken loswerden will –, stellen sich im fortgerückten Alter schon schlimmere Leiden wie Krebs und Multiple Sklerose ein. Beim Krebs versucht der Körper, die Abfallstoffe der Kochkost, die er nicht mehr imstande ist, anderweitig auszuscheiden, in Form von Tumoren einzukapseln. Die Lösung heißt hier weder Operation, Chemotherapie und Bestrahlung (was alles ja sehr lukrativ ist), sondern Fasten und artgerechte, also rohe Pflanzennahrung. Das hat schon der bekannte Krebsspezialist Dr. Max Gerson festgestellt, der von seinen Kollegen angefeindet wurde, aber von Albert Schweitzer sagte, er sei eines der größten Genies der Menschheit.
Was hat Sie dazu gebracht, sich so zu ernähren?
Eine ganzheitlich orientierte Augenärztin machte mich auf das Albert-Schweitzer-Haus aufmerksam. Ein Vortrag, der dort im April 1990 stattfand, machte mich mit dem Thema vertraut und die dort empfohlenen Bücher (von den Diamonds und Wandmaker) habe ich gleich verschlungen.
Was essen Sie am liebsten?
Meine Favoriten sind Cherimoyas [Fruchtfleisch: cremig zart, süßlich], Mangos, Datteln und Avocados. Lecker, aber leider auch teurer, sind Sapoten [Fruchtfleisch: rötlich, reif weich und mit süßlichem Geschmack, cremig bis puddingartig], Algen, Cempedaks [Fruchtfleisch: dunkelgelb, saftig, aber fest und faserig, schmeckt süß], Maulbeeren, Macadamianüsse und Trinkkokosnüsse.
Vermissen Sie manchmal gekochtes Essen?
Nein, denn ein schmackhafter Salat oder süße Früchte sind für mich doch etwas Besseres als beispielsweise die langweiligen Wurst- und Käsebrote von früher. Allerdings gibt es manchmal Rückfälle, etwa an Festtagen oder bei Restaurantbesuchen. Doch das lässt sich schnell durch Kurzzeitfasten oder einen Obsttag kompensieren.
Essen Sie von Zeit zu Zeit in der Kantine oder im Restaurant?
Bei der Arbeit habe ich mich von der Kantine abgemeldet, weil die Salate immer mit Chicken Wings oder Frikadellen bestückt waren. Im Cassiusgarten (vegetarisches Vollwertrestaurant in Bonn) esse ich ab und zu; in anderen Restaurants bestelle ich einfach einen großen Salat und bin dann nicht ganz so streng, wenn nicht alles roh und pflanzlich ist.
Welche Tipps haben Sie für Einsteiger und Interessierte?
Tipps für Einsteiger und Interessierte sind nicht so einfach zu geben, weil jeder unterschiedlich ist. Vielen erleichtert eine Fastenzeit den Einstieg in die Rohkost, was bei mir – weil ich ziemlich schlank bin – nicht angesagt war. Manchen gelingt ein abrupter Übergang zur Rohkost besser, andere kommen besser damit zurecht, nach und nach ihre Ernährung auf „roh“ umzustellen. Meist bewegt erst ein Leidensdruck durch Krankheit zur Umstellung auf Rohkost. Inzwischen werden viele bekannte Gerichte (Spaghetti, Pizza etc.) auf Rohkostbasis hergestellt, aber ich ziehe die einfache Variante (Obst, Salat, Nüsse und Trockenfrüchte mit Honig) vor.
Wo beschafft man sich weitergehende Informationen?
Für Interessenten könnte unter anderem das Abonnement einer Rohkostzeitschrift tiefere Einblicke bieten – wie „Natürlich leben“ vom Bund für Gesundheit (Franz Konz), „Wandmaker aktuell“ oder die „Wurzel“ (Michael Delias). Das motiviert einen regelmäßig. Unter „Germany goes raw“ und anderen Seiten im Internet findet man noch viele weiter Informationen. Sehr empfehlenswert ist auch Nenas Biografie „Willst du mit mir gehen“, in der sie auch erzählt, warum sie Rohköstlerin ist.
Kennen Sie auch andere Rohköstler persönlich?
Ich stehe telefonisch in Kontakt mit einem Rohkostfreund aus Bayern und tausche mich per E-Mail mit anderen aus. Die Rohkostgesprächskreise, die in vielen Städten existieren, muss ich – wie ich zugeben muss – erst noch aufsuchen.
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