Mithilfe von Handy-Apps kann man heutzutage nahezu alles in Daten erfassen: Das Sportverhalten, den Schlaf, selbst zwischenmenschliche Beziehungen. Doch wo liegen die Grenzen? Ein Beitrag von Verena Köplin.

Mit welchem Menschen in meinem Leben verbringe ich am liebsten Zeit? Hab ich bessere Laune, wenn die Sonne scheint? Und wann sollte ich den letzten Kaffee trinken, wenn ich heute Nacht durchschlafen will? Das alles sind Fragen, die wir im Normalfall aus dem Gefühl heraus beantworten. Wir probieren aus, wir beobachten, sammeln Erfahrungen, lernen durch Erfolge und Misserfolge – und probieren danach vielleicht etwas anderes. Theoretisch aber kann man die Antworten auf all diese Fragen auch ganz einfach an Zahlen ablesen. So, wie wir einen Pulsmesser mitnehmen, wenn wir joggen gehen, wie wir Kalorien zählen, wenn wir abnehmen wollen – genauso können wir auch Stimmungen, Bedürfnisse, ja sogar zwischenmenschliche Beziehungen mithilfe von Handy-Apps quantifizieren.
„Quantified Self“, so wird das Bestreben bezeichnet, das Leben in Zahlen auszudrücken. Und es gibt eine Bewegung, die genau diese Selbstvermessung intensiver betreibt, als wir das gewöhnt sind. Oft sind es Sportler, die ihre Leistungsfähigkeit optimieren wollen. Viele treibt auch die Technikbegeisterung, neue Apps auszuprobieren, vielleicht sogar eigene zu entwickeln, um Antworten auf Fragen zu generieren, die bisher nicht digital beantwortet werden können.
Selbstvermessung als Lebensoptimierung
Andreas Schreiber ist aus medizinischen Gründen zum „Quantified Self“ gekommen. Der heute 44-Jährige hatte 2009 einen Schlaganfall, in dessen Folge er in der Reha erst wieder lernen musste, zu sprechen. Er fing an, seinen Blutdruck, sein Gewicht und andere Werte aus Präventionsgründen aufzuzeichnen – und vermisste Apps, die ihm als Patienten die Selbstvermessung erleichtern. „Dabei sind die Möglichkeiten, die man heutzutage hat, fast grenzenlos“, erklärt er. „Neben diesen ganzen körperlichen Daten wie Schritten, Blutdruck oder Atmung kann man auch viele Lebensgewohnheiten messen. Wetterfühligkeit, Geldausgaben, besuchte Orte, sogar das Sexualleben.“
Der studierte Technoinformatiker kennt sich aus: Er forscht am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt auf dem Gebiet der Softwaretechnologie, außerdem hat er 2011 eine Firma gegründet, die selbst Apps für die Selbstvermessung entwickelt. Alle paar Monate organisiert er in Köln ein „Quantified Self“-Treffen, um ein Podium für Erfahrungsaustausch zu bieten. Bioinformatiker Isam Haddad, der beim letzten Treffen einen Vortrag über die von seiner Firma entwickelte individualisierte Stoffwechselanalyse gehalten hat, freut sich über diese Möglichkeit, mit anderen „QS-“‘lern ins Gespräch zu kommen. „Ich selbst interessiere mich für das ‚Quantified Self‘, weil ich verstehen will, welche Lebensumstände einen Einfluss auf bestimmte Alterungsprozesse haben. Zum anderen nutze ich das aber auch, weil Messen eine Motivationsstütze sein kann. Dadurch, dass ich Technologien verwende, die mich unmittelbar einen Effekt sehen lassen und nicht erst Wochen später auf der Waage. So schaffe ich es eher, mich aus meiner Komfortzone heraus zu treiben, und zum Beispiel einfach mal eine Runde um den See zu joggen.“
Bei Beziehungen und Sexualität wird es kritisch
Von diesem motivierenden Effekt der Selbstvermessung ist auch der Psychologe Dr. Oliver Kirchhof überzeugt. Er ist spezialisiert auf den Bereich der Sport- und Leistungspsychologie und sagt ganz deutlich, dass die Dokumentation solcher persönlicher Daten sehr sinnvoll sein können, wenn sie auf ein bestimmtes Ziel hin eingesetzt werden. „Das können zum Beispiel sportliche Limits sein, aber auch ganz gezielte Problembehandlungen. Wenn zum Beispiel jemand massive Stimmungsschwankungen hat, ist es eine gute Idee, mithilfe eines Stimmungstagebuchs den Gründen auf den Grund zu gehen.“
Kritisch jedoch sieht er die Selbstvermessung in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen oder Sex. „Wenn jemand versucht, solche Fragestellungen statistisch anzugehen, spricht das für mich eigentlich eher dafür, dass er das Vertrauen in sich selbst verloren hat“, so Kirchof. „Bei Beziehungen geht es darum, dass man in sich hineinfühlt und regelmäßig aktualisiert, wie es einem mit bestimmten Menschen und Tätigkeiten geht. Wenn man das so analytisch angeht, mag das zwar ein subjektives Gefühl von Kontrolle erzeugen. Doch die Komplexität dessen, was in uns vorgeht, kann es nicht abdecken – weswegen es leicht passieren kann, dass man an seinem eigentlichen Ziel vorbeischießt. Einfach deshalb, weil man letzte Woche vielleicht noch etwas ganz anderes gewollt und gefühlt hat als diese.“
Wie bei so vielem komme es auf das richtige Maß an, in dem man diese Art der Selbstbeobachtung vornimmt. Für Isam Haddad ebenfalls ein großer Vorteil des „Quantified Self“-Trackings: „Schön finde ich, dass ich selbst bestimmen kann, was ich eigentlich über mich wissen möchte.“ Ob das nun die Bedeutung der Sonne für meine Stimmung, mein Kaffeekonsum oder meine Schlafgewohnheiten sind.
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