Zurzeit häufen sich die Berichte aus Diyarbakir, einer Stadt im Osten der Türkei, genauso wie aus der syrischen Stadt Kobane – in beiden Städten leben hauptsächlich Kurden. Doch unzählige Kurden sind auf der Flucht, andere kämpfen direkt an der Front und versuchen der Terrormiliz Islamischer Staat weiter Boden zu entziehen. Wenn ich das schreibe, erzähle ich nichts Neues. Nichts, was nicht jeder schon irgendwo gelesen oder gehört hat. Vor Reisen in den Nahen Osten rät das Auswärtige Amt nun mehr als dringend ab. Zu Recht. Aber was passiert, wenn niemand mehr dorthin geht, wo Krieg herrscht? Ist dann automatisch Frieden? Das zu glauben wäre schlichtweg falsch.
Und es fällt schwer genug, den Überblick zu behalten. Wo sind wie viele auf der Flucht, was wird an den Fronten benötigt, warum gewinnt der IS weiter an Macht oder treiben wir, die Medien, das nur an? Ich weiß, dass ich das nicht weiß. Jetzt, wo ich wieder sicher in Deutschland angekommen bin, in meinem Zimmer am Laptop sitzen kann und – wenn ich ganz ehrlich bin – frei von Sorgen bin, kommt es mir seltsam, beinahe falsch vor, von der Reise zu schwärmen. Aber das muss ich – zumindest teilweise. Jordanien und Kurdistan-Irak sind zwei sehr unterschiedliche Länder die sich sicher nicht auf eine Stufe stellen lassen. Sie stehen beide vor anderen, aber teils auch vor den gleichen Herausforderungen. Die Flüchtlingsproblematik ist ein Beispiel dafür. Aber beide Gebiete sind sehenswert, erlebenswert.
„Wir leben alle unter dem gleichen Himmel. Aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont.“ Konrad Adenauer
Sowohl Jordanien als auch Kurdistan-Irak haben sich mir von ihren schönsten Seiten gezeigt – ebenso sah ich aber auch menschliche Abgründe. Wenn ich an die Menschen aus den Flüchtlingslagern denke, ihre Gesichter und Geschichten, weiß ich, dass ich das niemals vergessen werde und niemals vergessen möchte. Bei all den Konflikten, im Krieg und dem immer noch andauernden Nah-Ost-Konflikt wird meiner Einschätzung nach oft vergessen, dass hinter all dem Menschen stecken. Menschen, die das verantworten, aber vor allem eben Menschen, die sichtbar für den Rest der Welt leiden. Wenn ich meine Reise betrachte, dann denke ich zunächst nicht an Sehenswürdigkeiten (bei aller Liebe gibt es in beiden Gebieten auch nicht allzu viel davon) oder an Falafel, sondern vor allem an die Menschen, die ich kennen lernen durfte.
Die Beduinen in der Wüste Wadi Rums haben mir nicht nur den schönsten Sternenhimmel gezeigt, sondern auch gelehrt, andere politische Meinungen zu verstehen lernen. Wenn Khalim von seiner politischen Meinung erzählte, musste man nicht unbedingt mit allem d’accord gehen. Die Horizonte sind anders. Aber ich kann ihn immer noch erzählen hören: „This is politics – and by the way, there are people suffering“. Ich denke auch an Malek Abdeen von Care Jordan, der zentralen Nichtregierungsorganisation im Flüchtlingslager Azraq. Ich hoffe, er versucht immer noch, insbesondere die Flüchtlingskinder, bei Laune zu halten. Ich hoffe, Menschen wie er resignieren nicht. Ich hoffe, die Frau namens Rafsaa tut es auch nicht. Ich hoffe, die Welle der Solidarität die angesichts der Flüchtlingsdebatten in Deutschland aufkommt, reißt nicht ab und der Einsatz der Menschen hier reißt nicht ab.
Hoffen für die Menschen dort – Hoffen für mich selbst
Bei aller Solidarität gewinne ich aber auch teilweise den Eindruck, dass die Krisenwahrnehmung in Deutschland eine sehr relative ist. Dafür möchte ich Frank Priess zitieren: er schrieb in einem Beitrag über die Deutschen und ihre Krisenwahrnehmung folgendes: "Unser Land ist von Freunden umzingelt, die Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten Jahre hat man erstaunlich gut und besser als viele andere gemeistert, die Ukraine oder gar Syrien, der Irak und Lybien scheinen weit weg, selbst die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer und andere europäische Außengrenzen schaffen es nur selten und schon gar nicht dauerhaft ins Bewusstsein breiter Bevölkerungskreise." Das ist ein Problem, das man sich erst einmal bewusst machen muss. Auch ich selbst.
Dabei denke ich auch an das Volk der Kurden. Das (eher unfreiwillig) weltberühmt gewordene Volk, das die Welt jetzt aufgrund von IS Milizen überrannten Städten kennt und wegen seiner Peshmerga-Kämpfer, die sich der Terroreinheit entgegen stellen. Ich bin mit Sicherheit nicht mehr journalistisch objektiv, wenn ich sage, dass dieser Region mindestens das Recht auf ein faires Referendum endlich zusteht, wenn die IS Milizen zurück gedrängt wurden. Land und Leute hier, die sich in keinster Weise unterkriegen lassen, deren Leben weiter geht, weil sie leben wollen – sie haben es verdient. Der Politiker einer kurdischen Partei, Sasan Awny, wollte, dass seine Botschaft im Namen der Kurden nach Deutschland getragen wird: Dass die Deutschen den Kurden zeigen, wie der Aufbau eines Landes geht – denn Deutschland sei Vorbild, nachdem es sich nach dem Zweiten Weltkrieg in so kurzer Zeit wieder aufgebaut hat. Deutschland könnte gleichermaßen von den Kurden lernen – lernen, wie man teilt, obwohl man kaum zu geben hat.
Ein roter Faden zieht sich durch meine Reise – der Wunsch nach Frieden. Dass Menschen wieder in ihre Häuser zurück können. Politiker, die sich für sich und ihr Volk ein Ende eines immer wiederkehrenden Traumas wünschen. Christen, Muslime, Juden – ich konnte nicht immer alle verschiedenen Ansichten zu hundert Prozent nachvollziehen. Aber in einem Glaube fand ich mich immer vereint: dass es nicht naiv ist, auf Frieden zu hoffen. Im Februar 2015 reise ich nach Palästina, für ein multimediales Projekt mit fünf weiteren Journalisten aus Deutschland sowie sechs Journalistinnen und Journalisten aus Palästina. Ein Freund aus Jordanien freute sich sehr, dass ich diese Möglichkeit nutze. Für ihn gibt es kein Israel, nur Palästina. Er weiß, dass ich diese Meinung nicht teile – aber wir sind Freunde.
Und ich hoffe sehr, dass mich die Reise verändert hat – dass ich ein genügsamerer Mensch geworden bin, dass ich niemals blind werde, für die immer bestehenden zwei Seiten einer Geschichte, dass ich immer versuche zu verstehen, wie manche Menschen zu ihren Ansichten kommen, dass ich nicht müde werde, nochmal nachzufragen. Dass ich niemals vergesse, was ich gesehen und erlebt habe, dass ich meine Versprechen Rafsaa und anderen Menschen aus den Flüchtlingslagern weiter trage – dass ich ihre Geschichten weiter erzähle. Ganz sicher weiß ich, dass das nun ein abschließendes Fazit meiner Reise war – aber nicht der Schlussstrich für weitere Artikel daraus. Es gibt noch so viel zu sagen.
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