Orientierungsstufe
Das Bildungssystem ist Ländersache. Das führt dazu, dass man sich schon nach kürzester Zeit der Recherche über das jeweilige Schulrecht in einem Urwald aus Vorschriften und Regelungen wiederfindet, in dem sich nur allzu leicht der Überblick verlieren lässt. Ein erstes großes Streitthema stellt die Orientierungsstufe dar. Sie umfasst die Klassenstufen 5 und 6 und wird in jedem Bundesland anders verwirklicht. Mal gehört sie zu einer weiterführenden Schule und ist organisiert wie alle anderen Klassenstufen auch, mal gehört sie zur Grundschule und es bestehen innerhalb der Klasse je nach Fach Differenzierungen in A-, B- und C-Gruppen. Welches System das Beste ist, ist umstritten. Wenigstens ist der Wechsel auf eine andere Schulform nach der 6. Klasse in jedem Fall möglich, jedoch unüblich.
Ursprünglich sollte die Orientierungsstufe, die 1974 von der Kultusministerkonferenz vereinbart wurde, zur „Weckung von Lernfreude und Neugier, Individualisierung durch innere Differenzierung und Herstellung einer vom äußeren Druck befreiten Lernatmosphäre“ beitragen, so Renate Hinz in: „Das Schulsystem der Bundesrepublik Deutschland“.
Schöne Worte, doch in der Realität unterscheidet sich die Orientierungsstufe kaum bis gar nicht von den anderen Klassenstufen. Hier herrschen dieselbe Unterrichtsform, dieselben Methoden, dieselbe Anzahl Kinder auf einen Lehrer und derselbe Druck durch Klassenarbeiten, Tests und Zeugnisse. Anstatt individualisierter Förderung, die vor zu früher und unfairer Auslese schützen soll, wird auch hier in erster Linie auf Vergleichbarkeit gesetzt.
Weiterführende Schulen
Wie es nach der Grundschule weitergehen soll, liegt in der Hand der Lehrer und Eltern. Auch hier kommt es auf das Bundesland an, ob und inwieweit sich Eltern über die Empfehlung des Grundschullehrers hinwegsetzen können. Welche Optionen es überhaupt gibt, ist ebenfalls unterschiedlich. Das klassische Model aus der Dreiteilung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium ist größtenteils abgeändert oder erweitert worden. Lediglich in Baden-Württemberg und Bayern stellen diese drei Schulformen die einzigen dar. In den übrigen Ländern werden sie entweder ersetzt oder ergänzt durch Gesamtschulen, Verbundschulen oder Realschulen plus.
In dem einen Land wird innerhalb der weiterführenden Schule teils oder komplett nach Leistung getrennt, in dem anderen wird mittels verschiedener Schulformen getrennt, im dritten Land ist beides möglich. Der Verwaltungsaufwand ist unermesslich. Und wirklich gute Ergebnisse für Kinder jeder Herkunft und sozialen Schicht gibt es nirgendwo, wie die PISA-Studie und der deutsche Ableger PISA-E zeigen.
Klar ist: Mit der Schulform verändert sich zwar der Schwierigkeitsgrad und die äußere Organisation; die Vermittlung der Lerninhalte bleibt jedoch dieselbe. Die Unterrichtsform ist das eigentlich Wichtige, wird jedoch wesentlich weniger diskutiert als deren äußere Fassung. Solange sich Kinder im Unterricht nicht entfalten können, nicht ihre eigenen Stärken und Schwächen gezielt erkennen und fördern beziehungsweise bekämpfen können, spielt es keine Rolle, wie das Gebäude genannt wird, in dem dieser Unterricht stattfindet.
Gymnasiale Oberstufe
Hier gibt es einen weiteren Beschluss der Kultusministerkonferenz: Die Sekundarstufe II soll „eine vertiefte Allgemeinbildung, allgemeine Studierfähigkeit sowie wissenschaftspropädeutische Bildung“ vermitteln. Einige weitere Rahmenpunkte wie die Beschränkungen in der Fächerwahl sind auf Bundesebene festgelegt, die explizite Ausgestaltung liegt wieder bei den Bildungsministerien der Länder.
So erhält beispielsweise ein Schüler eines Gymnasiums in Nordrhein-Westfalen sein Abiturzeugnis nach 12 Schuljahren (G8), ein Schüler einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen nach 13 Jahren (G9) und ein Schüler in Rheinland-Pfalz im März des 13. Schuljahres (G8,5). In Niedersachsen hat sich das laut Niedersachsens Kultusministerin Frauke Heiligenstadt „überhastet“ eingeführte G8-System so negativ für Schüler und Lehrer erwiesen, dass es zum 01.08.15 durch das vorherige G9-System wieder abgelöst wird.
Zusätzlich gibt es noch Berufsschulen, Fachoberschulen und Berufskollegs, an denen das sogenannte Fachabitur erworben werden kann. Fachabiturienten erhalten keine allgemeine Hochschulreife, sondern nur eine Zugangsberechtigung zu Fachhochschulen. So können Absolventen eines Berufskollegs mit technischem Schwerpunkt zwar an einer Kunstfachhochschule aufgenommen werden, ein technischer Studiengang an einer Universität bleibt ihnen jedoch verwehrt. Paradox.
Überspringen und Sitzenbleiben
In den getrennten Schulformen können begabte Schüler Klassenstufen freiwillig überspringen, Schüler mit schlechten Noten werden nicht versetzt; sie müssen also eine Klassenstufe wiederholen. In Gesamtschulen gibt es das nicht mehr. Hier wird die Gleichheit aller Schüler betont, eine Benachteiligung durch Zurückstufung sei ungerecht. Warum im selben Zug überqualifizierten und gelangweilten Schüler die Möglichkeit verwehrt bleiben soll, ihr Potential auszuleben und ihr Abitur schneller zu erlangen, sei dahingestellt.
Fest steht: Kinder werden nicht fähigkeits- und leistungsgerecht gefördert. Egal, ob Schüler mit Leistungsdefiziten zurückgestuft oder versetzt werden, in der Schule wird ihnen nicht explizit geholfen, gegen ihre Schwächen anzugehen und ihre Lernlücken zu füllen. Eltern bleibt da meistens nur die Möglichkeit privater Nachhilfe – und die kostet. Die Gründe, wegen denen der schulische Erfolg deutscher Kinder in unverhältnismäßig großem Ausmaß von dem beruflichen Erfolg der Eltern abhängig ist, sind also leicht auszumachen.
Andere Staaten
Wie es besser funktionieren könnte, zeigen die Bildungssysteme anderer Nationen. Zwei der bei PISA-Studien führenden OECD-Nationen sind Japan und Finnland. Beide Länder verfügen über ein zentralisiertes Bildungssystem und verzichten auf eine vertikale Trennung, das heißt auf eine leistungsorientierte Sortierung der Schüler auf verschiedene Schulformen. Die allgemeine Schulpflicht besteht bis zur Beendung der 9. Klasse, erst danach können sich die Schüler zwischen dem Gymnasium und der Berufsfachschule in Finnland oder der Oberschule oder der Fachoberschule in Japan entscheiden. Auf diese Weise werden gleichermaßen eine bildungstechnische Benachteiligung für Kinder, die mit zehn Jahren nicht dem genormten Leistungsstand entsprechen, sowie eine Abwertung der Mittleren Reife und der ihr folgenden Berufsausbildung verhindert.
Finnland hebt sich außerdem durch die späte Einführung von Schulnoten und kleinen Klassen mit etwa 20 Schülern hervor. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass die Eltern von Kindern, die die Einheitsschule besuchen, weder für den Unterricht, noch für das Schulessen, für die Schulbücher oder den Schulweg bezahlen müssen. Und das, obwohl der finnische Bildungsetat nur knapp über dem OECD-Durchschnitt liegt.
Quellen:
http://www.bildungsxperten.net/wp-content/uploads/2011/02/unterschiede-schulsysteme1.jpg
http://www.kmk.org/wir-ueber-uns/gruendung-und-zusammensetzung/zur-geschichte-der-kmk.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Lehrerempfehlung
http://de.wikipedia.org/wiki/Gesamtschule
http://de.wikipedia.org/wiki/PISA-E
http://www.mk.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=34581&article_id=123195&_psmand=8
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