Wir werden im Moment zu etwas gezwungen, was wir sonst kaum noch kennen – Alleinsein. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, welche positiven Seiten das Alleinsein hat und warum man es mal ausprobieren sollte, auch ohne Corona Krise.
Vor einigen Jahren habe ich eine Eremitin getroffen. So heißt eine Frau, die die meiste Zeit ihres Lebens allein lebt. Sie hat sich ganz bewusst dazu entschieden. Auf die Frage, was in ihrem Leben jetzt anders ist als früher, hat sie geantwortet, dass sich jetzt alles immer mehr nach innen dreht, sie zu sich findet und sich auf die Dinge des Lebens konzentriert, die ihr wichtig sind. Diese Frau wirkte auf mich ganz und gar nicht verlassen oder einsam, vielmehr wirkte sie sehr zufrieden mit ihrem Leben. Und ist es nicht gerade Zufriedenheit, die vielen von uns fehlt?
Alleinsein heißt unabhängig sein
Mit dem Alleinsein bekommt man die Unabhängigkeit gratis dazu geliefert. Denn was passiert, wenn man allein ist? Man hat kein Gegenüber mehr, dessen Wünschen, Erwartungen oder Bedürfnissen man gerecht werden muss. Da bist auf einmal nur noch du, der entscheidet, was du als nächstes machen wirst. Was für eine Befreiung!
Alleinsein, muss sich ja nicht zwangsläufig zu Hause abspielen. Man kann alleine spazieren gehen, sich alleine Ziele setzen, ja sogar sich alleine lieben. Nur du entscheidest, was du machen wirst und wie du es machen wirst: es gibt keine Kompromisse, keine Diskussionen. Niemand muss zurückstecken.
Alleinsein für die Gemeinschaft
Du kannst Pläne schmieden und sie wieder über den Haufen werfen. Du kannst einfach spontan draufloslaufen und schauen, was passiert und wo du landest. Dabei wirst du merken, dass es jetzt darum geht, was dir guttut. Denn du musst nicht auf deinen Partner, Freundin oder Freund achten und dich dabei womöglich zurücknehmen. Alleinsein kann bedeuten, sich selbst wertzuschätzen, indem man seine eigenen Bedürfnisse wahrnimmt und ihnen gerecht wird.
Dennoch ist das Alleinsein kein Freifahrtschein alles zu tun, wonach einem der Sinn steht. Ganz besonders nicht in der jetzigen Zeit. Aber auch ohne Corona Krise, darf die sich selbst gewählte Freiheit des Alleinseins nicht in Egoismus zuspitzen. Wir sind und bleiben als Menschen Teil einer großen Gemeinschaft und unser aller Aufgabe ist es diese Gemeinschaft zu unterstützen und zu erhalten. Im Moment ist tatsächlich das Alleinsein das Beste, was wir tun können, um dieses Ziel zu erreichen. Doch auch sonst kann uns das Alleinsein dabei helfen Gemeinschaft zu stärken, wenn wir es nutzen, um herauszufinden, was uns selbst bewegt und motiviert.
Ich selbst habe in der vergangenen Zeit viel Erfahrung mit dem Alleinsein gemacht, ganz bewusst. Oft habe ich dabei Dinge zu hören bekommen wie: „Du machst das allein? Das ist aber cool, das könnte ich glaube ich nicht.“ Ganz egal ob ich gesagt habe, ich geh allein in ein Restaurant essen oder ich fahre allein an den Strand.
Wer allein sein will, braucht Mut
Das hat mir zum einen gezeigt, wie ungewöhnlich es ist, etwas allein zu machen. Aber auch, dass es viele eigentlich gerne mal machen würden, es sich jedoch nicht trauen. Doch warum trauen sich so viele nicht, allein zu sein? Wovor haben sie Angst? Ist es die Angst, dann vom Alleinsein ins Einsam sein zu rutschen? Oder ist es das Bedürfnis, ständig die Bestätigung zu bekommen, gemocht und geliebt zu werden? Oder gar die Angst, sich selbst wieder klar zu sehen und sich mit sich auseinander setzen zu müssen? Was wenn man Dinge entdeckt, die einem nicht so gefallen?
Oder ist es gar nicht die Angst, die einen zurückhält, sondern die Entscheidungsfreiheit, die durch das Alleinsein entsteht? Wer nie allein ist und sich immer nur in Verbindung mit anderen Menschen erlebt, weiß womöglich gar nicht, was seine eigenen Bedürfnisse sind. Wer sich darüber definiert, Teil einer bestimmten Gruppe zu sein und das Alleinsein noch nie gelebt hat, kann mit dieser Zeit, die er für sich hat, wahrscheinlich einfach nichts anfangen. Das kann dann vor allem in partnerschaftlichen Beziehungen nach hinten losgehen. Denn wer sich seiner eigenen Bedürfnisse nicht bewusst ist, kann diese auch nicht einfordern und wird so womöglich oft Enttäuschungen erleben.
Ich denke die Gründe sind so vielfältig, wie wir Menschen es sind, aber auch, dass es sich lohnt, diese Ängste und Abneigungen vor dem Alleinsein zu überwinden. Denn von Zeit zu Zeit tut es gut, sich mit sich selbst auseinander zu setzen, seinem eigenen Sein auf den Grund zu gehen und sich dabei neu auszurichten. Es kann sogar hilfreich sein, um sich danach in einem neuen Bewusstsein wieder auf Beziehungen und Freundschaften einzulassen.
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