„Wer analysiert eigentlich die Analysten?“ und „Hat Geld noch einen Sinn außer den, ausgegeben zu werden?“. Mit diesen Fragen wirbt die Alanus Hochschule um gesellschaftskritische und kunstaffine Studenten für ein alternatives BWL-Studium – und will mit ihnen die Wirtschaft von morgen gestalten.

Ins weiche Grün der Felder gebettet, die die ehemalige Bundeshauptstadt Bonn umgeben, ist der rot-weiße Neubau der Alanus Hochschule schwer zu übersehen. Es ist ein recht normales Gebäude, quadratisch, mit einer großen Fensterfront, wie gewöhnliche Hochschulen auch. Erst der zweite Blick lässt ein hippiesk anmutendes Anderssein vermuten: der verlassene Bauwagen auf dem Rasen vor dem Gelände, der von Studenten gesäumte Teich vor der Mensa und die vielen Bio-Zisch-Limonaden in der Cafeteria verraten, dass hier eine andere Schiene als die des Herkömmlichen gefahren wird.
Studieren zwischen Vogelgezwitscher und Pferdekoppeln
Seit 1973 wird hier gelehrt, zunächst auf dem Johannishof. Der alte Bauernhof in den Höhen Alfters wird vom gemeinnützigen Verein „Alanus Gesellschaft e.V.“ aufgekauft und restauriert. Am Rande des Waldes wird hier gemalt, gehauen, gespielt und getanzt, denn die Kunsthochschule bietet den anfänglichen 30 Studierenden zunächst Diplome in Bildhauerei, Schauspiel, Malerei, Eurythmie und Architektur an. Heute, um eine staatliche Anerkennung, einen modernen Campus und zahlreiche Studiengänge reicher, ist die Alanus Hochschule für die ca. 500 Studierenden mehr als nur eine Uni. „Die Alanus Hochschule bietet ein unheimlich inspirierendes Lernumfeld“, so Architektur-Studentin Felicia Riegel. „Die Vernetzung der verschiedenen Disziplinen ist ein fruchtbarer Boden für Kreativität und die überschaubare Größe der Hochschule macht den Umgang zwischen Personal, Dozenten und Studenten sehr nah und human.“
Universales Lernen
Trotz der zunehmenden Anpassung an die konventionelle Hochschullandschaft ist es dem Rektor Professor Marcelo da Veiga gelungen, der Gründungsphilosophie treu zu bleiben. Die Hochschule orientiert sich nicht nur an den anthroposophischen Werten Rudolf Steiners, sondern gebührt auch ihrem Namensgeber Alanus ab Isulis (ca. 1114 bis 1203) alle Ehre. Der Scholastiker und Dichter vertrat schon im Mittelalter die These, dass der Mensch „über den Tellerrand“ blicken müsse, um den Geist zu schulen und ein ganzheitliches Weltbild zu erlangen. Diese Lernkultur, der er den Titel des „Doctor universalis“ verdankte, wird an der Hochschule durch das „Studium generale“ gelebt. Als Ergänzung zu der jeweiligen Fachrichtung wird Studierenden aller Studiengänge angeboten Module Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, Philosophie- und Kulturgeschichte, Kunstwissenschaft und Ästhetik sowie Anthropologie und Ethik zu belegen. So soll interdisziplinär eine Chance zum Dialog und zur gegenseitigen Inspiration geboten werden.
Fragwürdige Grundlage für eine Universität
Auch wenn der Blick über den Tellerrand nie verkehrt sein mag, ist die Anthroposophie hierfür eine nicht ganz unumstrittene Grundlage. Die von Rudolf Steiner begründete spirituelle Weltanschauung ist zwar geprägt von religiösen und naturwissenschaftlichen Aspekten, driftet jedoch häufig ins Übernatürliche ab. Neben rassistischen Vorwürfen, hat Steiners Lehre auch immer wieder mit Kritik an ihrem Wissenschaftsanspruch zu kämpfen. Den vertrete die Anthroposophie Kritikern zu Folge zu Unrecht, denn, obwohl methodisch korrekt durchgeführt, seien seine Forschungen und Experimente zur Hellsichtigkeit und Esoterik nicht empirisch überprüfbar. Ist also eine Universität, die im Sinne Humboldts als „Gesamtheit der Wissenschaften“ gelten sollte, der richtige Ort für Steiners zwielichtige „Geistesforschung“? So wurde der zur Alanus Hochschule Akademie für Walddorfpädagogik beispielsweise die Akkreditierung durch den Wissenschaftsrat verweigert, „denn eine spezifische, weltanschaulich geprägte Pädagogik im Sinne einer außerwissenschaftlichen Erziehungslehre [sei nicht] zur Grundlage einer Hochschuleinrichtung zu machen,“ wenn die methodischen Ansätze den Standards Wissenschaftlichkeit nicht gerecht würden. Dass die Alanus Hochschule trotzdem anerkannt wurde, liegt unter anderem auch an der Privatisierung. Durch private Gelder lassen sich Inhalte akademisieren, die sonst keine staatliche Förderung genießen würden.
BWL mal anders
Während hier also für gewöhnlich Kunst geschaffen wird, diskutiert eine Gruppe Studenten im Nebenraum über die Bedeutung, die dies für die Wirtschaft haben kann. Sie studieren den einzigen Studiengang der die musische Idylle der Kunsthochschule bricht: Betriebswirtschaftslehre. An diesem alternativen Ort der Kunst und Inspiration soll noch Platz für kalte Kalkulationen sein, gar für Kapitalismus? Was zunächst abwegig klingen mag, muss es nicht zwingend sein. Der Studiengang, der nicht umsonst den Beinamen „Wirtschaft neu denken“ trägt, soll in der deutschen Hochschullandschaft die einzige Schnittstelle zwischen BWL und Kunst sein. Auf kreativem und interdisziplinären Wege sollen die Studierenden hier lernen, sich von herkömmlichen Denkschemata zu lösen und Systeme kritisch zu hinterfragen, jedoch ohne esoterisch zu werden. Für Nils Sierk, der hier im 2. Semester studiert, muss man kein Idealist oder Weltverbesserer sein, um sich in den Studieninhalten wiederzufinden. „Es geht nicht darum das bestehende Wirtschaftssystem zu verteufeln. Viel wichtiger ist es, die Zusammenhänge zu verstehen und gemeinsam über mögliche Schwachstellen zu diskutieren.“
Elitäre Ansätze
Das Debattieren auf dieser Ebene bleibt jedoch ein gewisser Luxus. Die rund 820 Euro monatlich anfallenden Studiengebühren kann sich nicht jeder leisten, und somit wirkt der Weg in die faire Wirtschaft der Zukunft nicht ganz so fair. In Augen der Hochschule soll es an der Finanzierung jedoch nicht scheitern. Zinslose Darlehen und eine Kooperation mit Partnerunternehmen, in denen die Studierenden in der vorlesungsfreien Zeit arbeiten, helfen, das Studium zu finanzieren. Während der zehn-wöchigen Praxisphasen bei Partnerunternehmen mit einem nachhaltigen Unternehmenskonzept wie dm, Alnatura oder Weleda sollen die Studierenden im realen Kontext lernen, wie menschenfreundliches Wirtschaften funktioniert. Sowohl Alnatura Gründer Götz E. Rehn als auch der Gründer und Geschäftsführer von dm, Götz W. Werner, sind Gastprofessoren, Mitentwickler und bekennende Fans des unkonventionellen Studiengangs. „Die Studenten lernen das betriebswirtschaftliche Handwerk in Theorie und Praxis. Und sie beschäftigen sich mit künstlerischen und philosophischen Themen, schulen also ihr Ausdrucks- und Erkenntnisvermögen. Genau diese Fertigkeiten wünsche ich mir für zukünftige Alnatura-Mitarbeiter“ lobte der Gründer und Geschäftsführer der Biomarktkette Alantura Prof. Götz E. Rehn den Studiengang bei seiner Akkreditierung 2006.
Mehr als bloßes „Namen tanzen“
Neben Statistik und Wirtschaftsinformatik stehen hier deswegen auch Fächer wie Eurythmie (anthroposophische Bewegungskunst, Anm. d. Red.) und Malerei auf dem Studienplan. „Kunst und Wirtschaft schließen sich für mich nicht aus,“ so Studentin Hannah Hoffmann. Zuvor hat sie Tanz in London studiert, deswegen ist für sie „die eine Disziplin ohne die andere gar nicht denkbar. Sie befruchten sich gegenseitig.“ Durch das Studienfach „Zeichnen“ lernen die Studenten beispielsweise ein Objekt, und damit auch auf eine mögliche Problemstellung in ihrem zukünftigen Berufsalltag, mit anderen Augen und aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Indem sie im Schauspielunterricht in andere Rollen schlüpfen, schulen sie ihr Einfühlungsvermögen, das sie so leichter auch gegenüber ihren zukünftigen Kunden oder Mitarbeitern im Unternehmen einbringen können.
Gemeinsam die Zukunft gestalten
So werden also Denk- und Gestaltungsblockaden überwunden und der Horizont hin zu einem norm- und wertorientierten Wirtschaften erweitert. Auch wenn BWL nun mal BWL bleibt und auch die Anthroposophie aus Fächern wie Statistik nichts Musisches rausholen kann, geht es bei der konventionellen Wissensvermittlung um mehr als um bloße Kalkulationen und Rendite. Es geht um die Gestaltung einer Wirtschaft, die sich an den Bedürfnissen derer orientiert, von denen und für die sie gemacht wird: Mensch und Natur. Schwerpunkte sind deswegen auch Themen der Nachhaltigkeit und Unternehmensethik. Als Führungskräfte von morgen, möchten die Studenten für einen humanen Kapitalismus sorgen. Bis dahin, bleibt die Alanus Hochschule eine Erfrischung in der Hochschullandschaft und eine Enklave der alternativen Denkansätze, denn, wie die Studenten in ihrem Video „Alfter am Berg“ schon besingen: „Links, grün, wird die Republik… hier ist sie es schon!“
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