Die Digitalisierung greift tiefer, Algorithmen und Computerprogramme sind aus einem Großteil unseres Lebens nicht mehr wegzudenken und erschaffen ein komplexes und wenig durchschaubares System, technischer Fortschritt, der oft pauschal abgelehnt wird. Bildung für Verantwortung heißt, fundierte Entscheidungen in dieser komplexen Welt treffen zu können. Dieses Bildungsideal fordert lebenslanges Lernen, um auf neue Herausforderungen informiert und reflektiert reagieren zu können. Offener und freier Zugang zu Wissen über Online-Kurse schafft diese Möglichkeit.
Digitalisierte Hochschulbildung
Bildung an den Hochschulen ist längst im digitalen Zeitalter angekommen. Vorlesungen liegen in digitaler Form vor, Hausarbeiten werden per E-Mail abgegeben und Informationen im Internet recherchiert. Doch weil die Digitalisierung bisher lediglich vorhandene Strukturen unterstützt, ist es noch nicht zu einer radikalen Veränderung der Lernkultur gekommen. Wissensvermittlung in Vorlesungen verläuft in pauschalisiertem Tempo zu festen Zeitpunkten, an individuelle Betreuung ist an Massenuniversitäten in den ersten Jahren des Studiums nicht zu denken. Dabei bieten neue Technologien die Möglichkeit, das Lernen individuell und angepasst zu gestalten.
Auf individuellem Wissenserwerb und gemeinsamer Diskussion und Problemlösung basiert das Konzept des inverted classrooms, des umgekehrten Klassenzimmers. Die Lernenden recherchieren Lernstoff und Konzepte zunächst selbst, in eigener Geschwindigkeit und passend zum eigenen Lerntypen. In der Vorlesung werden weitergehende Fragen besprochen, Probleme gelöst und fortgeschrittene Konzepte erläutert. Statt nebeneinander in der Veranstaltung zu sitzen, fördert dieses Konzept das Lernen mit- und voneinander. Begleitende Online-Übungen passen sich den aktuellen Fähigkeiten des Lernenden an.
Über MOOCs, massive open online courses, also kostenlose Online-Kurse, enthält bereits heute Jeder Zugang zu Lehrveranstaltungen an unzähligen Universitäten. Der Startschuss fiel 2011. Damals stellte Dozent Sebastian Thrun seinen Stanford-Kurs zum Thema „Artificial Intelligence“ kostenlos online, innerhalb weniger Tage hatten sich über 50.000 Studenten aus der ganzen Welt angemeldet. Ein Jahr später entstanden aus diesen Erfahrungen die Start-Up Firmen Coursera und Udacity, heute Spitzenreiter bei Online-Kursen mit über sieben Millionen Lernenden. Insgesamt stellen mehr als 100 Universitäten weltweit Kurse auf Coursera bereit.
Lebenslanges Lernen
Inzwischen nutzen neben Studenten viele Arbeitnehmer, die bereits eine abgeschlossene Hochschulbildung haben, Angebote der Online-Universitäten. Weiterbildung neben dem Beruf gewinnt bei Karrieren mit oft wechselnden Herausforderungen und regelmäßiger Änderung des Tätigkeitsfelds an Bedeutung. Die Möglichkeit, Zeit und Ort des Lernens frei zu wählen, macht die Weiterbildung nebenher attraktiv. Aus lebenslangem Lernen ist ubiquitous learning geworden, denn technologischer Fortschritt und wissenschaftliche Entwicklung fordern eine ständige Umorientierung und Neubewertung bekannten Wissens, im beruflichen wie gesellschaftspolitischen Umfeld.
Doch sollte der Zweck von Hochschulbildung sein, spätere Karrierechancen zu verbessern? Sollte im Studium mehr auf die employability geachtet werden und ein größerer Praxisbezug hergestellt werden? Nein, gerade die breite Akzeptanz von Angeboten der Online-Universitäten zeigt: Gefragt sind weiterhin theoretisches Hintergrundwissen und die Fähigkeit, wissenschaftlich zu arbeiten, Fragen zu stellen und Themen in breitere Kontexte einzuordnen. Der Bildungsmarkt darf sich nicht vom Arbeitsmarkt leiten lassen, denn gerade seine Zweckfreiheit und Entkopplung machen wissenschaftliches Arbeiten erst möglich – auch wenn die gelehrten Fähigkeiten später im Beruf nützlich sind.
Herausforderungen technologischer Komplexität
Nicht nur im Bildungsbereich ist die Digitalisierung allgegenwärtig. Mit Smartphones tragen wir den Zugang zu unbegrenztem Wissen in der Tasche. Wir kommunizierten mit Automaten, Robotern und Computerprogrammen, Dienstleistungen konsumieren wir ohne jegliche menschliche Interaktion, ein kurzer Druck auf den Touchscreen genügt. Bei jeder Interaktion hinterlassen wir Datenspuren. Unter dem Schlagwort Big Data wird dieser Trend zusammengefasst, der sowohl Fluch als auch Segen sein kann. Internetfirmen passen Inhalte und Empfehlungen unserer Online-Historie an, IBMs Supercomputer Watson analysiert Regalmeter an wissenschaftlichen Publikationen, um Hypothesen und Diagnosen im Gesundheitswesen zu überprüfen, Krankenkassen könnten Mitgliedsbeiträge anpassen, je nachdem wie viel sportliche Aktivität unsere Fitness-Tracker messen.
Bald könnte unser Alltag durch Algorithmen komplett automatisiert sein. Google testet bereits selbstfahrende Autos in Kalifornien, autonome Züge sind schon in einigen Städten unterwegs. Spielberichte von Fußballspielen oder Börsennachrichten werden bereits heute von Computeralgorithmen geschrieben. Und andere Algorithmen verwenden exakt diese Berichte, um zukünftige Spielergebnisse oder Börsenkurse vorherzusagen. So entstehen komplexe, selbst-referentielle Systeme, deren Wirkung schwer abzuschätzen ist. Oft stößt technologischer Fortschritt daher auf pauschale Ablehnung. Doch ein Abkapseln von Fortschritt ist in einer globalisierten Welt nicht möglich. Vielmehr ist es wichtig, Implikationen neuer Entdeckungen, Entwicklungen und technischer Innovationen zu reflektieren. Der fortschreitenden Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung kann nur erfolgreich begegnet werden, wenn Innovationen nicht abgelehnt werden, sondern Möglichkeiten und Folgen abgeschätzt werden.
Bildungsideal in der Digitalmoderne
Von einem Bildungsideal in der Digitalmoderne muss nun gefordert werden, dass Bildung nicht Ausbildung zum Zweck hat, sondern den Menschen sich selbst und seine Umwelt bewerten lässt. Bildung muss dabei helfen, Situationen, Sachverhalte und Meinungen zu analysieren, einzuordnen und reflektierte Entscheidungen treffen zu können. Deshalb: In einer sich ständig verändernden Welt, die immer vernetzter und komplexer wird und deren Technik und Wirkungsweise nur versteht, wer sich kontinuierlich mit ihr beschäftigt, fordert ein Bildungsideal, lebenslang zu lernen. Die Digitalisierung der Hochschule kann diesen Zweck erfüllen, wenn die Chancen der digitalen Medien in der Lernkultur und nicht nur in der -struktur genutzt werden. Frei verfügbare Online-Kurse, die nicht nur den Nutzen einer beruflichen sondern auch persönlichen Weiterbildung haben, können das Rückgrat bilden.
Bildung muss uns zu verantwortungsvollen Bürgern der Gesellschaft machen. Verantwortlich handeln kann nur, wer informiert ist und aktuellen Fragestellungen begegnen kann. Deshalb ist ubiquitous learning über digitalisierte Bildung die Voraussetzung dafür, dass wir den technologischen Wandel reflektieren und verantwortungsbewusst begleiten können. Bildung für Verantwortung heißt freies, offenes und verfügbares Wissen, bereitgestellt von öffentlichen Instanzen und genutzt vom Bürger. Bildung, die über Online-Kurse jederzeit und überall verfügbar ist, die sich nach individuellen Interessen und Neigungen zusammenstellen lässt. Bildung, die Fortschritt und Technologie in der digitalen Gesellschaft nicht ablehnt, sondern kritisch hinterfragt und hilft, gemeinsam verantwortungsvoll mit neuen Erkenntnissen und neuer Technologie umzugehen.
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