Es riecht nach Frittierfett. Gebratenen Nudeln werden an einem vietnamesischen Imbiss direkt am Anfang auf der linken Seite der Arminiushalle frisch zubereitet. Ein paar Schritte weiter auf dem Mittelgang steigt einem der Duft von Brathähnchen in die Nase. Zwei etwas korpulentere Damen unterhalten sich an einem Holztisch und lecken sich genüsslich die letzten Reste von den Fingern. Tropische Palmen verwandeln das historische Gewölbe in eine grüne Oase. In einem der seitlichen Verkaufsgänge werden Walnüsse in getrockneten Datteln und Orangen-Mango-Säfte angeboten, in einem anderen Bio-Burger und vegane Kartoffelsuppe. 123 Jahre vorher transportierten Pferdewagen hier die Ware, wie der Besucher auf dem Informationsschild außerhalb des Gemäuers erfährt. Die türkisfarbenen Eisenkonstruktionen, die die meterhohen Decken stützen, erinnern noch an die Zeit der ehemaligen Zunfthalle von 1891.
Abseits des Trubels und dennoch kaum zu übersehen: der „Schlupfladen“
Ein bisschen fühlt man sich wie in einem Labyrinth. Umso passender liegt eine pinke Strickschnur mit grün gehäkelten Anhängern auf dem Boden. Vorbei an dem tätowiertem Obst-und Gemüsehändler mit schwarzer Lederkappe, der gerade mit einem seiner Kunden lacht und ihm die Boskoop-Äpfel empfiehlt, führt die Schnur in eine abgelegenere Ecke. Langsam nimmt das Stimmengewirr, Gläserklirren und der Trubel ab. Am Ende einer Seitengasse leuchtet in pinkfarbener Schnörkelschrift „Schlupfladen“. Darunter dekoriert ein buntgemustertes Vordach und Papierguirlanden mit Äpfeln, Rehen, Sternen und Drachen in verschiedenen Farben den Tresen.
Zwei Mädchen treten aus dem Laden und reden von jeder Menge buntem „Schnick-Schnack“. Doch Inga, die Besitzerin, sucht die Ware eben nach ihrem Geschmack aus und wenn die selbstgemachte Kette aus blauen, pink- und lilafarbenen Baumwollstoffresten kein Verkaufsschlager ist, nutzt sie gleich zwei davon als Schalersatz. Immerhin sei es heute Morgen kalt gewesen und sie passen zu ihrem lila gepunktetem Kleid und der gleichfarbigen Strumpfhose.
Gerade hilft sie einer Kundin dabei, eine von 500 verschiedenen, illustrierten Karten auszuwählen. Sie duzen sich, zum Abschied noch ein schnelles „viel Glück“. Denn die 43-jährige Moabiterin veranstaltet morgen wieder einmal den Kreativmarkt, bei dem über 20 Aussteller ihre selbstgemachte Ware anpreisen, und das benachbarte „Inseltheater“ hat immer noch keinen Platz geschaffen. Sichtlich nervös schmeißt sie einen Ständer mit gestreiften Armreifen und Glückspilzanhängern um, heute sei ihr Pechtag. Kurz darauf schaut der Besitzer des Hofladens von gegenüber vorbei und bietet seine Hilfe beim Bühnenabbau an. „Das ist das Tolle hier, man ist eine Gemeinschaft“, meint die ursprünglich aus dem Ruhrgebiet stammende Dame lächelnd. Oft nimmt auch mal eine Freundin auf dem pinken, gemütlichen Sofa am Ende des überfüllten Lädchens Platz oder es wird frisch gerösteter Kaffee nebenan getrunken. Jeder kennt hier jeden, überwiegend Einheimische schlendern von Stand zu Stand. Allerdings erst nachdem 2010 ein neuer Eigentümer Struktur in die heruntergewirtschaftete Arminiushalle gebracht hatte, zuvor wurde sie kaum noch besucht. „Bei uns ist es wieder schön“, so musste auch Inga, die seit 15 Jahren in Moabit wohnt, ihre Freunde überzeugen.
21 wohin das Auge blickt – ein selbstbewusster Multi-Kulti-Kiez
Den „Schlupfladen“ eröffnete sie erst 2012. Neben Glitzerzauberstäben, Pfauenfedern und rot-weißen Lollipop-Ohrringen scheinen besonders die Kiezartikel beliebt zu sein. Taschen, Shirts, Buttons, alles mit dem Handzeichen, wobei Ringfinger und Daumen zusammengehalten werden. 21 soll das symbolisieren, die letzte Ziffer der ehemaligen Postleitzahl. Überall taucht das Zeichen hier auf. Auch die Moabit-Box, eine von fünf Mitbringsel-Sets, die man sich aus dem türkisfarbenen Souvenirautomaten holen kann, muss bald wieder aufgefüllt werden. Die Bewohner scheinen stolz auf ihren Bezirk zu sein. Warum? „Hier gibt es einfach ein spezielles Flair. Die Uhr tickt langsamer“, erklärt die Ladenbesitzerin. Und das stimmt. Trotz des regen Treibens während der Mittagszeit sind alle ganz entspannt. Man kann sich gemütlich an die massive Holztafel setzen, französischer Musik lauschen und unter goldenen Kronleuchtern einen vegetarischen „dodo to go“ probieren. Begeistert stellt die gebürtige Kamerunerin ihre afri-kreolisch inspirierte Eigenkreation vor. Ein warmer Wrap gefüllt mit Schafskäse, Kochbananen, Gemüse, Omelett und Vivs Spezialgewürz.
Auf die Frage, ob Moabit das neue Kreuzberg werden könnte, heißt es: „Nein, wir lassen uns nicht von ‚schnell, schnell, Party, Party‘ vereinnahmen“.
Und tatsächlich fällt auf, dass die Ureinwohner sich keinem hippen Berlin-Trend beugen, sondern sich lieber die Curry-Wurst beim Hallenimbiss für 1,30 Euro schmecken lassen und dabei mit den alteingesessenen Standbesitzern über die neusten Ereignisse plaudern. So wie Eddi, Jahrgang 1931. Er füllt sich gerade Zucker in den Kaffee nach und beginnt von der Zerstörung der Halle während des Krieges zu berichten. Unter seiner Bacardi Cap schaut er durch die verspiegelte Sonnenbrille und meint: „Wenn man hier lebt, kommt man halt her.“ Von veganen Leckereien habe er noch nichts gehört.
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