Die Coronakrise hat die Diskussion um das Grundeinkommen befeuert – dem Bundestag liegt nun eine Petition mit knapp einer halben Millionen Unterschriften vor. 1000 Euro monatlich, bedingungslos, für jeden. Ein solches Konzept würde uns nicht nur individuell, sondern auch als gesamte Gesellschaft verändern. Was für ein Wirtschaftssystem würde uns erwarten? Wer zahlt das eigentlich? Und brauchen wir das wirklich? In #Eingebüxt diskutieren wir Chancen und Probleme eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Hör Dir hier den Podcast an. #Eingebüxt, Folge 3, kannst Du hier starten:
Zu dem Thema ist noch längst nicht alles gesagt. #Eingebüxt, das sind wir: Christina Lopinski und Corinna Koch. Wir sind studierte Kommunikationswissenschaftlerinnen, haben beide schon in sämtlichen Zeitungsredaktionen hospitiert und unsere Bachelorarbeiten dem Thema des Konstruktiven Journalismus gewidmet. Journalismus ist für uns mehr als ein Beruf und konstruktiver Journalismus die Haltung, die wir als unverzichtbar empfinden.
„Was würdest du mit 1.000 Euro extra machen?“
Ich bin Studentin. Ich lebe nicht von Ketchup und Nudeln, überlege mir aber zwei Mal, ob ich mir die Theaterkarte wirklich leisten kann. Und die Autoversicherung. Und das Zugticket nach irgendwo.
„Mich weniger sorgen“, antworte ich. „Und öfter essen gehen vielleicht.“ Ich überlege und nicke mir selbst zu. Ich studiere aktuell im Master. Während meines Bachelorstudiums hatte ich immer zwei Jobs gleichzeitig. Es hat schon funktioniert – irgendwie funktioniert es ja immer – aber mein durchschnittlicher Stresslevel war sehr hoch.
„Was würdest du mit 1.000 Euro extra machen?“
Ich höre meine Oma durchs Telefon atmen. „Was soll ich denn anders machen? Ich mache alles so, wie ich das eben mache.“ Und wie du es seit 50 Jahren machst. Ich kenne die Rente meiner Oma. Sie sagt es nicht – der Kriegsgeneration wurde Genügsamkeit ins Blut gespritzt -, aber ich weiß, dass sie sich endlich mal etwas gönnen würde. Eier vom Bauern zum Beispiel.
„Was würdest du mit 1.000 Euro extra machen?“
„Fertig studieren“, sagt mein Bruder.
Der Rest meiner Familie antwortet ähnlich. Nicht groß etwas verändern. Äußerlich. Innerlich sorgt eine Grundsicherung von 1.000 Euro für extreme Sicherheit. Existenzängste sind plötzlich sehr klein und der Druck, einen Job auszuüben, der einem nicht gefällt, besteht nicht mehr. Die Möglichkeit, sich mit der Sinnhaftigkeit des eignen Seins auseinanderzusetzen hat plötzlich Platz zu wachsen. Mag pathetisch klingen, aber eine finanzielle Grundsicherung und damit finanzielle Freiheit macht geistige Freiheit erst möglich. Wie soll man herausfinden, was man wirklich gut kann und mag, wenn man vom permanenten Druck getrieben wird, irgendwie Geld verdienen zu müssen?
Jede*r zweite Deutsche ist Burnout gefährdet
Die Psychohygiene leidet unter dem veralteten Bild von Arbeit, das in der westlichen Welt herrscht. Arbeit wird synonym zu Erwerbstätigkeit gedacht. Wir werden ausgebildet, um zu arbeiten. Wir sind ein Teil der Gesellschaft, wenn wir einen von ihr erzeugten Job erfüllen. Unser Wert wird zum Großteil an unserer Produktivität gemessen. Das ist falsch und überholt. Die Digitalisierung hat die Industrialisierung abgelöst und damit das Verhältnis von Arbeit und Wertschöpfung aus dem Gleichgewicht gebracht. Während der Mindestlohn nur langsam steigt, werden Produkte unverhältnismäßig teurer. Manchmal fühlt es sich so an, als bestimme die Arbeit unser Leben. Die Frage „Was machst du so?“ zielt nicht auf Interessen und kreative Projekte ab. Sondern auf den Studiengang oder den ausgeübten Beruf. Vor kurzem habe ich versucht anders auf diese Frage zu antworten. „Ich spaziere gerade durchs Leben“ hat gehobene Augenbrauen und gerümpfte Nasen geerntet. Man spaziert nicht durchs Leben. Höchstens, wenn man auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz ist.
Das falsche Verständnis von Arbeit?
Das Menschenbild, das sich hinter diesem Verständnis von Arbeit versteckt, ist eines, das ich nicht teilen kann. Der Mensch als maschinengleiches Wesen, das lebt, um zu arbeiten, um die Konjunktur anzutreiben und ein kleines Rad in der Maschinerie des Kapitalismus zu sein. Der Mensch ist egoistisch und sein Handeln beruht auf Wettbewerb. Wirtschaftlichem Wettbewerb liegt der Wachstumsgedanke zugrunde. Der arbeitende Mensch ist das Idealbild. Er ist Teil des Systems. Für den Rest ist leider kein Platz. Der Rest spricht zum Beispiel kein Deutsch, hat eine Behinderung, lebt auf der Straße, ist alleinerziehende Mutter, pflegt einen kranken Angehörigen, oder besitzt keine Papiere. Dieser Rest wirkt wie Kies in der Maschinerie. Es knirscht, der Kies muss beseitigt werden, für Steine im Uhrwerk gibt es nämlich keine Verwendung.
Das mag drastisch klingen. Übertreibung ist aber ein wirksames Mittel, um Probleme zu adressieren. Ich glaube nicht an dieses Menschenbild. Ich halte es für einen verquerten Auswuchs des Kapitalismus. Ich sage nicht, dass der ganze Kapitalismus schlecht ist – weder den Kommunismus noch den Sozialismus möchte ich mir an seiner Stelle vorstellen – ich glaube aber schon, dass wir ihn anders denken müssen, den Kapitalismus. Die unsichtbare Hand Adam Smiths, dem Kapitalismus-Daddy, ist mittlerweile nämlich fast 300 Jahre alt. Sie muss sich irgendwo zwischen Bismarck und Brandt aufgelöst haben.
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