Vor zwei Jahren startete das Experiment in Bremen. Immerhin sechzehn Schüler durften sich der Herausforderung stellen, beworben hatten sich dreiundzwanzig. Sehr gute Englischsprachkenntnisse wurden vorausgesetzt, Ehrgeiz und Disziplin sowieso. Trotz Turbo-Abi mussten neben den deutschen- nun auch die englischen Themen für das International Baccalaureate untergebracht werden. Mit anderen Worten: es musste noch schneller und effizienter gearbeitet werden. Aber es gab ein Ziel, den Doppelabschluss, den jeder unbedingt erreichen wollte – auch wenn die Motive dafür nicht immer ganz eindeutig waren. Zunächst bedeutete das einfache „Haben“ mehr als der praktische „Nutzen“ des Diplomas. Es galt, sich „alle Türen offen zu halten“, seine Perspektiven zu vergrößern, möglichst überall studieren zu können, einfach „international“ zu sein.
Aber der Weg bis dahin war holprig und oft ganz schön unbequem. Einerseits bestand der schulische Stress aus Arbeitsbergen von Hausaufgaben, Tests und schriftlichen Abhandlungen, der sich jedoch kontrollieren und reduzieren ließ, meistens durch gute Organisation und Fleiß. Der andere, der persönliche Stress, wog ungleich schwerer und kostete die meiste Kraft. Für das IB fertigten wir zwei Jahre lang regelmäßig Essays und Projekte und schickten diese zu Lehrern in der ganzen Welt, ohne ein einziges Mal eine Note zu erfahren. Es würde nur eine Endnote für uns geben. Schaffen oder versagen.
Wenn das Abitur nicht als genug erscheint
Die Doppelbelastung bedeutete für uns auch Verzicht auf unsere Freizeit und Sorglosigkeit. Trotzdem wählten wir den beschwerlichen Weg. Warum eigentlich? Wir suchten die Herausforderung, wollten uns selber etwas beweisen. Und irgendwie erschien uns das Abitur dafür einfach nicht genug. Fast jeder zweite Deutsche erwirbt mittlerweile die allgemeine Hochschulreife, Tendenz steigend. Um sich abzuheben, so scheint es zumindest, muss man wohl eine Schippe drauf legen. Ein Auslandsaufenthalt oder soziales Engagement überrascht ja niemanden mehr. Ein zweiter, internationaler Abschluss schon.
Ohne Frage sind zwei Schulabschlüsse ein Aushängeschild im Lebenslauf. Nur wen interessiert das wirklich? Deutsche Unis wählen nach wie vor nach Kommazahlen aus und erkennen das IB teilweise nicht einmal an. Und den niederländischen Universitäten mit ihren unzähligen internationalen Studienfächern genügen fast immer gute Englischkenntnisse im Abitur. In der englischsprachigen Welt hingegen hat sich das IB bereits etabliert; die guten Universitäten in England oder den USA verlangen jedoch neben enormen Studiengebühren auch utopische Punktzahlen im IB.
Vielleicht geht es nicht immer um die Anerkennung von außen. Für mich waren wir niemals die „Eliteklasse“ oder das „Streberprofil“. Mit meinen Klassenkameraden teilte ich fast alles: ein großes Interesse am Weltgeschehen, Ambition und auch viel Humor. Und nicht zuletzt haben wir es geschafft und den Doppelabschluss alle in der Tasche. Tatsächlich sind wir nun „international“: Weltreise, Freiwilliges Jahr in Südafrika, Mexiko oder China, Studium in Schottland oder in den Niederlanden – niemanden hält es noch zu Hause. Den Doppelabschluss hätte für diese Wege niemand gebraucht. Und wenn ich darüber nachdenke, finde ich es nicht einmal schlimm.
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