Samstagnachmittag am Berliner Hauptbahnhof: Die Sonne taucht den Fernsehturm und die Reichstagkuppel in warmes Licht. Am Bahnsteig herrscht eher gelassene Stimmung, wie ungewöhnlich. Erlebnisse einer Bahnfahrt und warum Geduld wichtig ist.
Die Deutsche Bahn ist ein Phänomen, eben eine Sache für sich. Das kennt man ja. Von München bis nach Flensburg, von Deidesheim nach Dierhagen, kein Problem. Von Berlin nach Köln gibt’s auch eine Verbindung. Knappe viereinhalb Stunden in blau bezogenen Sitzen, sogar mit festgeknöpftem Kopfkissen. Ein kurzer Snack im Bordbistro ist auch drin. Ich kann’s kaum erwarten. Die Sonne steht jetzt etwas tiefer, es hat etwas von Eisenbahnromantik, wenn man will. Der Zug rollt los: Es knistert, es knackst, es raschelt. Die Stimme aus dem Off meldet sich: „Wir begrüßen Sie auf unserer Reise nach Köln, unseren nächsten Halt Berlin Spandau erreichen wir…” Ich setzte meine Kopfhörer auf, Justin Timberlake statt Zugführer.
Plötzliches Entsetzen in den Gesichtern meiner Mitreisenden, ich setzte meine Kopfhörer wieder ab. „Auf Grund von Arbeiten an den Gleisen müssen wir einen Teilabschnitt der Strecke großräumig umfahren. Wir bitten um Ihr Verständnis.” Wie? Was ist los? Zum Glück wird die Ansage in exzellentem und akzentfreien Englisch wiederholt: „We have a delay of 90 minutes, because we have to take another route.” Natürlich habe ich Verständnis dafür. Das war ja irgendwie klar. Irgendwas muss ja passieren. Ruhe bewahren, das wird schon. Ich schaue aus dem Fenster, kaum haben wir Berlin verlassen sieht man sogar Bäume statt Plattenbau, wie schön. Die Landschaft draußen verschwimmt zu einem einzigen, langen, grünen Band. Unangenehmes Gleißen der Bremsen und die erneute, krächzende Stimme des Zugführers reißen mich aus meinen Gedanken. „Aufgrund der Überlastung der Umgehungsstrecke verweilen wir einen kurzen Moment, wir öffnen die Türen für Sie. Aber bitte entfernen Sie sich nicht zu weit vom Zug. Die Raucher benutzen bitte nur die dafür gekennzeichneten Flächen auf dem Gleis.”
Natürlich habe ich auch dafür Verständnis. Ein dumpfes Klicken, die Türen öffnen sich. Frische Luft, herrlich. Ah, in Wittenberge sind wir, hier wollte ich immer schon mal hin. Auf dem gegenüberliegenden Gleis steht ebenfalls ein ICE, ein Schaffner flucht: „Manchmal hasse ich meinen Job!” Ja, das kann ich verstehen. Ein schriller Pfiff: „Alle in den Zug!” Jetzt schon? Zum Glück habe ich mich nicht zu weit vom Zug entfernt, da habe ich nochmal Glück gehabt. Die Reise geht weiter, nur leider in entgegengesetzter Fahrtrichtung. Erneut die schon liebgewonnene Stimme des Zugführers: „Unseren nächsten Halt Stendal erreichen wir in Kürze, aber ich bin mir sicher, dass hier niemand von Ihnen aussteigen möchte.” Langsam mache ich mir Sorgen, ein Hund würde diesem Mann gut tun, so als Gesprächspartner. Wenig später bestätigt der Blick aus dem Fenster des Abteils: Ich ertrage lieber weiter die Stimme aus dem Lautsprecher. Einer meiner Mitreisenden, ein älterer Herr mit weiß-blau kariertem Hemd, hat bereits seine Armbanduhr ausgezogen und auf den hölzernen Tisch vor ihm gelegt. Gar keine schlechte Idee. Sein Gesicht versteckt der Mann hinter dem „mobil”- Magazin der Deutschen Bahn. „Macker mit Manieren” lautet die Schlagzeile. Etwa der Zugführer? Wohl kaum. Vom Titelblatt lächelt mir Elyas M’Barek entgegen. Zumindest eine Sache, die diese Zugfahrt ansatzweise erträglich macht. Ich lehne mich in meinem Polstersitz zurück, die Landschaft rast draußen mit 180 km/h vorbei. Die Beine übereinander geschlagen, blättere ich das „mobil”-Magazin auf. Soll der Zugführer doch Zugführer sein. In dem abgedruckten Interview spricht M’Barek von Höflichkeit und guten Manieren. Gute Manieren, gehört Geduld nicht auch dazu?
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