Die aktuelle Debatte über das Burka-Verbot wirft grundlegende Fragen auf. Was zählt mehr: Religionsfreiheit oder Sicherheit? Inwiefern geht ein Sicherheitsrisiko von der Verschleierung aus, inwiefern widerspricht sie unserem Wertesystem? Und wie kann diese Angelegenheit rechtlich geregelt werden? Ein Kommentar.
In Frankreich gibt es das Burka-Verbot schon seit 2011, das Burkini-Verbot wird zurzeit stark diskutiert. Grundlagen für solche Gesetzesvorschläge sind Sicherheitsbedenken und das französische Prinzip der laïcité, welches eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion vorschreibt. In öffentlichen Institutionen ist das Tragen von jeglichen religiösen Symbolen daher untersagt – für die Burka gilt dieses Gesetz auch in der allgemeinen Öffentlichkeit. Nun gewinnt die Debatte auch in Deutschland an Bedeutung und stellt die Bundesregierung vor grundlegende Entscheidungen über den Umgang mit Religionsfreiheit und Sicherheit.
Die bisherige rechtliche Lage in Deutschland
In Deutschland gibt es bisher kein klares Gesetz, welches das Tragen von Burkas oder sonstiger Verschleierungen verbietet. Bisherige Urteile traf das Bundesverfassungsgericht auf den Rechtsgrundlagen der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. So wurde im Januar 2015 für das Bundesland Nordrhein-Westfalen beispielsweise beschlossen, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen nicht mit der Verfassung vereinbar ist. Andererseits wies ein Berliner Arbeitsgericht im April 2016 die Klage einer Muslima ab, welche aufgrund ihres Kopftuches nicht als Grundschullehrerin eingestellt wurde. Nach dem Berliner Recht, welches alle Religionen gleich behandelt, sei das Tragen jeglicher religiöser Symbole Justizbediensteten, Polizisten und Lehrern untersagt. Ob die betroffene Lehrerin Berufung eingelegt hat, ist unbekannt.
In Deutschland sehe ich daher zwei Probleme: Erstens gibt es widersprüchliche Rechtsgrundlagen, welche in jedem Fall unterschiedlich ausgelegt werden können. Und zweitens erlaubt der Föderalismus je nach Bundesland unterschiedliche Gesetzesauslegungen. Verschleierte Muslimas in Deutschland sind neben ihrer oft kritischen Position in der Gesellschaft auch rechtlich mit Unsicherheiten konfrontiert. Es besteht daher durchaus ein Bedarf für ein bundesweit einheitliches Gesetz, welches über das Tragen von Kopftüchern in der Öffentlichkeit entscheidet.
Der Gesetzesvorschlag
Nur wie sollte ein solches Gesetz aussehen? Innenminister Thomas de Mazière schlägt ein Verbot der Vollverschleierung in deutschen Gerichten, Ämtern, Schulen und im Straßenverkehr vor. Der Begriff „Vollverschleierung“ bezieht sich auf diejenigen Arten der Verschleierung, welche das Gesicht verhüllen. Laut Befürwortern müsse aus Sicherheitsgründen an den genannten Orten die Gesichtserkennung der Bürger möglich sein. Außerdem gehe es darum, Muslimas vor der frauenfeindlichen Unterdrückung ihrer Ehemänner zu schützen, welche durch die Verschleierung zum Ausdruck gebracht werde. Letztendlich wolle man es den Muslimas erleichtern, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, wobei die Verschleierung als hinderlich angesehen wird.
Es sind also hauptsächlich diese drei Argumente, auf die sich der Gesetzesvorschlag stützt, und meiner Meinung nach sind alle drei kritisch zu betrachten. Ich kann nachvollziehen, dass die Gesichtserkennung in öffentlichen Bereichen unserer allgemeinen Sicherheit dienen soll – schließlich wurde schon oft mit Bildern von Überwachungskameras nach kriminellen Tätern gefahndet. Und mal ganz ehrlich, auch ich fühle mich von meinem Gegenüber verunsichert, wenn ich sein Gesicht nicht erkennen kann – sei es beim Motorradfahrer mit abgedunkeltem Visier oder eben bei einer verschleierten Muslima. Aber hierbei handelt es sich um mein subjektives, irrationales Empfinden, welches auf der Gewohnheit beruht, Menschen anhand ihres Gesichts identifizieren zu können. Ein überzeugter Krimineller wird seine Tat ohnehin begehen – ob man sein Gesicht erkennen kann oder nicht. Sollte mein subjektives Empfinden also jemanden daran hindern, sich so zu kleiden, wie er oder sie es will? Ginge das nicht gegen die deutschen Werte der Freiheit?
Welche Werte symbolisiert die Verschleierung?
Andererseits ist auch Frauenfeindlichkeit nicht mit unseren Werten vereinbar, und für viele wird sie durch die Verschleierung symbolisiert. Laut der Deutschen Islam Konferenz (DIK) basiert die Verschleierung vor allem auf drei verschiedenen Textstellen im Koran. Sure 24, Vers 31 fordert gläubige Frauen auf, ihr Dekolleté zu bedecken und ihren Schmuck nicht zu zeigen, um sich vor den Blicken von Männern zu schützen, die nicht der Familie angehören oder ihre Bediensteten sind. Es ist allerdings eine Frage der Interpretation, ob das Haar einer Frau als ihr Schmuck gilt.
Laut einer zweiten Textstelle, Sure 33, Vers 53 und 55, sollen die Frauen des Propheten ihre Bitten an Männer nur hinter einem hijab hervor formulieren, sodass ihre Sittlichkeit bestehen bleibt. Zu Zeiten der Verkündung des Koranverses war es unter byzantinischen Herrschern üblich, ihre Frauen vor Besuchern hintern Vorhängen zu verstecken. Zudem bedeutet das Wort hijab im Altarabischen auch „Vorhang“. Es wird daher vermutet, dass der muslimische Prophet Mohammed die byzantinische Sitte auch auf seinem Hof einführte. Die obligatorische Verschleierung aller Muslimas ist wiederum nur eine Interpretation dieses Verses.
Letztendlich wird die Verschleierung mit Sure 33, Vers 59 begründet, welche fordert, dass gläubige Frauen ihr Gewand herunterziehen sollen, damit sie erkannt und dadurch nicht belästigt werden. Es gibt keine spezifischen Anweisungen dazu, was genau verhüllt werden soll. Die Verschleierung der Frau ist also nicht wörtlich festgelegt, aber eine Interpretation des Korans sowie weitere islamische normative Texte wie dem Hadith haben sich als jahrhundertealte Tradition unter vielen Muslimen etabliert.
Wie kann ein Gesetz muslimische und deutsche Werte vereinen?
Betrachtet man die von der DIK genannten Verse, fällt auf, dass die Verschleierung der Frau stets ihrem Schutz dienen soll – dem Schutz vor Blicken von Männern, Unsittlichkeit und Belästigung. In diesem Sinne ist sie also keineswegs frauenfeindlich. Frauenfeindlich ist jedoch, wenn die Frau beschuldigt wird, einen Mann zur Unsittlichkeit provoziert zu haben, weil sie sich nicht verschleiert hat. Frauenfeindlich ist auch, wenn eine Frau sich verschleiert, weil ihr Ehemann es ihr vorschreibt. Frauenfeindlich ist, wenn die Verschleierung zur Pflicht wird und eine Frau sich nicht aus freien Stücken dazu entscheidet. Diese Art von Frauenfeindlichkeit passt nicht in das deutsche Wertesystem.
Aber wie können wir wissen, warum Muslimas sich verschleiern? Sicherlich gibt es die einen und die anderen, diejenigen die es freiwillig als Glaubensbekenntnis tun und diejenigen, die dazu gedrängt werden. Nur wie kann ein Gesetz diese Unterschiede in Betracht ziehen? Vielleicht würde es unfreiwillig verschleierte Muslimas schützen. Aber würde es nicht auch den freien Willen derjenigen Muslimas einschränken, die sich freiwillig verschleiern? Und ginge das nicht gegen unser deutsches Wertesystem?
Das dritte Argument, welches von Befürwortern des Burka-Verbots angebracht wird, basiert auf der Annahme, dass unverschleierte Muslimas sich leichter in unsere Gesellschaft integrieren. Kritiker wiederum behaupten, dass muslimische Ehemänner ihre Frauen gar nicht erst auf die Straße gehen lassen, wenn sie nicht verschleiert sind – was der Integration wiederum hinderlich ist. Hier stelle ich, als Vertreterin unserer Gesellschaft, mir wieder die Frage: Ist mein persönliches Empfinden wichtiger als die Freiheit meines Gegenübers? Wenn eine verschleierte Muslima Deutsch lernt und in Deutschland arbeiten möchte, darf ich ihr aufgrund ihrer für mich ungewohnten Verschleierung einen Arbeitsplatz verwehren? Meine Antwort lautet: Nein. Jeder Mensch ist gleichwertig, ganz gleich seiner Kleidung. Und jeder Mensch sollte die Möglichkeit erhalten sich zu integrieren, unabhängig davon, ob seine Kleidung unseren Vorstellungen entspricht. Wenn die Verschleierung der Integration hinderlich ist, liegt es an unserer Gesellschaft, sich zu öffnen und zu ihren Werten der Freiheit zu stehen.
Was jedoch ausdrücklich verboten werden sollte, ist die unfreiwillige Verschleierung. Jede Frau sollte sich per Gesetz so kleiden dürfen, wie sie möchte – ob Muslima oder nicht. Sollte dies bedeuten, dass sie sich aus freien Stücken verschleiern möchte, so sei es ihr gestattet. Es ist an der Zeit, dass unsere Gesellschaft auch zu ihren Werten steht, die sie so stolz propagiert: Freiheit gilt nicht nur, wenn sie in unser gewohntes Bild passt, sondern grundsätzlich und für alle, die an unserer Gesellschaft teilhaben.
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