„Erste Welt“, „Dritte Welt“… Sowas sagt man heutzutage nicht mehr, weil es diskriminierend ist. Wir sind eine Welt und so sollten wir uns auch sehen. Diese Aussage mag in geographischer Hinsicht stimmen, aber wenn es um Wohlstand und Macht geht, existieren die unterschiedlichen Welten nach wie vor. Ein Volontär in Ghana berichtet von seinen Eindrücken.
Deutschland gehört zu der obersten Welt. Dort ist alles im Überfluss vorhanden und die neusten Trends werden von der großen Masse konsumiert. Die feinsten Delikatessen türmen sich in unseren Supermarktregalen, zu jeder Jahreszeit kauft man sich neue Kleidung, das neuste Handy oder der superscharfe Flatscreen sind ein Muss und unsere alten Spritfresser ersetzen wir natürlich durch einen schnittigen Hybrid-Sportwagen.
Nur ein paar Hippies, Hipster oder Menschen, die in relativer Armut leben, kaufen Second-hand. Der ganze Glanz verschleiert eine unangenehme Wahrheit. Wir sind nicht dumm. Jedem müsste klar sein, dass unmöglich alles recycelt werden kann, was wir wegschmeißen. Selbst die PET-Flaschen im Supermarkt werden nicht zu neuen Flaschen verarbeitet, wie es viele fälschlicherweise annehmen. Egal! Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, und deshalb mache ich einfach meine Augen zu und schlender ohne Sorgen durch die Einkaufspassage voller Glitzer und Glamour.
Situation in Ghana
Verlässt man die „Erste Welt“, welche sich in Ghana Viele als irdisches Paradies vorstellen, werden einem die Augen geöffnet, egal wie sehr man zuvor versucht hat, sie geschlossen zu halten. Denn es ist kein Zufall, dass man hier täglich Autos mit Aufschriften, wie „Zimmerei Müller“, „Seniorenzentrum Gnoien“, oder „www.rad&roller.de“ sieht. Auch die Tatsache, dass die T-Shirts hier teilweise Aufschriften, wie „Seifenkistengruppe-Immer auf Achse“, „Die Wilden Kerle“, „arbeiten und trotzdem feiern“ oder „Bier macht hässliche Frauen schöner“ tragen, hängt nicht mit einem seltsamen Modetrend zusammen.
Das Geschäft mit dem Müll
Die Ursache liegt auf der Hand: Alles was wir in Deutschland nicht mehr gebrauchen können, wird in die „Dritte Welt“ verschifft, um dort noch einen größtmöglichen Profit mit dem „Müll“ zu machen. Autos, Elektroartikel, Kleidung und sogar Lebensmittel und von der EU subventionierte Agrarerzeugnisse kommen mit dem Schiff nach Afrika. Dort kann man sie dann für relativ günstige Preise kaufen, wovon, und das sollte man nicht unerwähnt lassen, natürlich besonders die ärmsten der Armen profitieren. Vielmehr profitieren allerdings die Unternehmen, welche sich auf das Geschäft mit dem Müll spezialisiert haben. Diese Unternehmen verkaufen nicht nur Elektroartikel aus zweiter Hand. Manche von ihnen schlagen auch dicke Profite aus den Altkleiderspenden, welche von gutgläubigen Bürgern in die zahlreichen Container geschmissen und anschließend sortiert und verkauft werden.
Die helfende Second-Hand aus dem Ausland
Aber ist es nicht eine große Wohltat für die Leute in der „Dritten Welt“, dass wir ihnen den Zugang zu günstigen Gütern ermöglichen? Die Antwort ist nein. Denn abgesehen davon, dass es moralisch fraglich ist, dass wir ohnehin nur Güter in die „Dritte Welt“ verschiffen, die wir nicht gebrauchen können oder wollen, richtet der Handel mit dem Müll einen großen makroökonomischen Schaden an und stellt ein strukturelles Problem dar. Wie soll sich denn jemals eine starke Volkswirtschaft entwickeln, wenn das gesamte Land von Ausschusswaren überflutet wird, welche zu Preisen angeboten werden, mit denen kein ghanaisches Produkt konkurrieren kann? Viele Lebensmittel kommen aus dem Ausland. Selbst der Reis wird aus Taiwan, Vietnam oder den USA importiert. Das Kleidungsangebot besteht zum größten Anteil aus Altkleidern. Kraftfahrzeuge, die in Deutschland ausgedient haben, versprühen jetzt anderswo auf der Welt ihren schwarzen Qualm. Schrottreife Elektroartikel werden auf illegalem Weg hierher verschifft und auf den Müllhalden in Ghanas Hauptstadt Accra auseinandergenommen.
Die Folgen des Handels mit dem Müll sind fatal. Es hat sich eine Abhängigkeit vom Müll entwickelt, wobei gleichzeitig ein Rückgang der eigenen Produktion, beispielsweise im Agrar- oder Textilsektor, hervorgerufen wird. Dies geht soweit, dass es sich in manchen Branchen inzwischen schon kaum noch lohnt, eigene Produkte zu erzeugen. Hieraus folgen wiederum Arbeitslosigkeit, Armut und aufgrund der Tatsache, dass der Schulbesuch in Ghana nicht kostenlos ist, mangelnde Bildung bis hin zum Analphabetismus. Elektroschrott verseucht ganze Stadtviertel und dessen Grundwasser. Die Wunden in der Gesellschaft, wie in der Umwelt sind tief und können nicht verheilen solange Ghana nicht autonomer wird und sich von den schädlichen Handelsbeziehungen befreit. Dieser Umstand ist keine neue Erkenntnis meinerseits. Im „Parliament of Ghana“ ist sicherlich jedem bewusst, dass das Land im Müll versinkt.
Ghanas Weg in eine bessere Zukunft
Warum schützt man sich also nicht einfach vor ausländischen Produkten, mit denen man unmöglich konkurrieren kann und fördert eigene Produkte, die Arbeitsplätze und Steuereinnahmen generieren? Der Ausweg ist doch so einfach. Man müsste einfach höhere Einfuhrzölle für Güter wie subventionierte Agrarprodukte oder superbillige Altkleider einführen, sodass die einheimischen Produkte wenigstens zu vergleichbaren Preisen angeboten werden könnten und ghanaische Landwirte und Unternehmen bessere Grundvoraussetzungen vorfinden, um sich zu entwickeln. Genau das war die Intention der 2003 vom ghanaischen Parlament mit großer Mehrheit verabschiedeten Zollerhöhung für Geflügel, Reis und Tomaten. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Einfuhrzölle für diese Produkte bei lediglich 20 Prozent und sollten auf 40 Prozent verdoppelt werden.
Laut den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO), die es sich zum Ziel gemacht hat, Handelshemmnisse auf der ganzen Welt abzubauen, wäre diese Erhöhung vollkommen legitim gewesen. Es wäre schließlich auch ungerecht, wenn die Industrieländer sich als Einzige das Privileg vorbehalten würden, ihre Volkswirtschaften vor Dumpingimporten zu schützen. Der Erhöhung der Zölle und dem damit verbundenem Schutz des einheimischen Agrarsektors stand also nichts mehr im Wege. Doch offenbar wollten die europäischen Prediger der Demokratie das ghanaische Parlament dann letztendlich doch nicht selbstständig entscheiden und gestalten lassen. Gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfond, welcher zur selben Zeit mit Ghana über einen Schuldenerlass verhandelte, übte die EU Druck aus. Unter dem Vorwand, dass die Zollerhöhung der armen Bevölkerung schaden würden, da sie eine Verteuerung mancher Produkte nach sich ziehe, wurde der Regierung in Accra davon abgeraten, die Zölle zu erhöhen.
Internationale Handelsregeln aber bitte nur für Entwicklungsländer
IWF, WTO und Weltbank sind offiziell gegründet worden, um, mit Hilfe des freien Handels, Wohlstand auf der ganzen Welt zu fördern. Die aktuelle Situation stellt sich jedoch eher so dar, dass die mächtigen Industriestaaten ihren maßgeblichen Einfluss in diesen internationalen Organisationen missbrauchen, um Eigeninteressen durchzusetzen. Die EU und die USA praktizieren den von ihnen selbst so sehr verteufelten Protektionismus, um ihre eigenen Binnenmärkte zu schützen und üben gleichzeitig Druck auf Staaten wie Ghana aus, für die der Schutz der eigenen Volkswirtschaft einen essentiellen Bestandteil für den Weg in eine bessere Zukunft darstellt.
In Washington und Brüssel sind intelligente Menschen beschäftigt, welche nicht übersehen, was jedem von uns bewusst sein sollte: Die Ressourcen auf der Erde sind begrenzt und schon jetzt wird der mit Abstand größte Anteil dieser Ressourcen von den Industrienationen genutzt, welche die Minderheit der Weltbevölkerung ausmachen. Was würde also passieren, wenn plötzlich die gesamte Weltbevölkerung einen Lebensstil praktizieren würde, wie wir es beispielsweise in Deutschland tun?
Wenn wir dem Großteil der Menschheit nicht länger den Weg zum Wohlstand versperren wollen, müssen wir etwas an unserem Konsumverhalten ändern und auch das habe ich gemeint, als ich am Anfang des Artikels von einer unangenehmen Wahrheit gesprochen habe. Wir können nicht ausschließlich mit dem Finger auf Politiker und Unternehmer zeigen, denn auch wir haben unseren Beitrag zu leisten.
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